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Fair und frisch für alle
05.12.2024 Lebensmittel werden teurer, und das trifft insbesondere Menschen mit wenig Geld hart. Franziska Götze und Evelyn Markoni forschen daran, wie Städte gesunde und faire Ernährung für alle sicherstellen können.
Worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt zum Thema Armut?
Evelyn Markoni: Das Arbeitspaket «Sozial gerechter Zugang zu nachhaltiger und gesunder Ernährung» ist Teil des dreijährigen Projekts «Städte als Triebkräfte für nachhaltige Ernährungssysteme», das wir gemeinsam mit dem Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern durchführen. Wir erforschen darin gemeinsam mit armutsbetroffenen Menschen in Bern Bedürfnisse und Herausforderungen und erarbeiten partizipativ konkrete Aktionen, die sich aus den Ergebnissen ableiten lassen.
Die Inflation hat die Lebensmittelpreise stark steigen lassen. Wie beeinflusst dies Schweizerinnen und Schweizer in Bezug auf ihre Ernährung?
Franziska Götze: Gerade für Personen, die bereits vor dem Anstieg der Lebensmittelpreise ein knappes Budget hatten, sind die höheren Lebensmittelpreise ein Problem. Dadurch steigt die soziale Ungleichheit. Wir brauchen dringend politische Massnahmen wie die Anpassung der Kita- und Schulverpflegung, damit alle Kinder Zugang zu gesunder und nachhaltiger Ernährung haben. Auch müssen wir das Thema Armut enttabuisieren und gemeinsam Lösungen finden, um eine sozial gerechte Ernährung für alle zu gewährleisten.
Welche Rolle spielen eigentlich Städte bei diesem Problem?
Franziska Götze: Heute leben mehr als 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung im städtischen Raum und konsumieren somit auch einen Grossteil der Lebensmittel. Städte haben ein enormes Potenzial, alle Dimensionen der Nachhaltigkeit zu verbessern. Viele Städte, wie etwa Bern, haben dies bereits erkannt und engagieren sich für eine nachhaltige und sozial gerechtere Ernährung.
Welche Methoden nutzen Sie bei Ihrer Forschung?
Evelyn Markoni: Wir haben uns für die partizipative Aktionsforschung entschieden. So konnten wir die Bedürfnisse unserer Ko-Forschenden, der armutsbetroffenen und armutserfahrenen Menschen in Bern, miteinbeziehen und gemeinsam mit ihnen nach bedarfsgerechten Lösungen suchen. Aus der Forschung entstanden verschiedene konkrete Aktionen, einerseits im Prozess selbst, anderseits als Folge des Prozesses, zum Beispiel Gespräche am Runden Tisch zu einem bestimmten Thema. Allerdings war nicht der gesamte Prozess partizipativ. Die Forschungsfrage haben wir vorab gemeinsam mit den Geldgeber*innen und dem Amt für Uweltschutz der Stadt Bern entwickelt.
Welche Schwierigkeiten hatten Sie, Menschen in Armut in Ihr Projekt einzubeziehen?
Evelyn Markoni: Es war eine Herausforderung, Personen zu finden, die mit uns gemeinsam forschen. Deshalb haben wir uns Zeit genommen, um ein Netzwerk aufzubauen. Wir haben Quartierszentren besucht, um die Menschen vor Ort kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Dabei hatten wir viele schöne Begegnungen und haben zahlreiche persönliche Geschichten gehört.
Welche Erkenntnisse haben Sie bislang gewonnen? Gab es Überraschendes?
Franziska Götze: Für uns war überraschend, dass einerseits die Bedürfnisse und Lebensrealitäten der Menschen sehr unterschiedlich sind, andererseits jedoch der Wunsch nach frischen Lebensmitteln bei allen vorhanden war. Diese sind aber oftmals bei den Hilfsangeboten nicht ausreichend verfügbar.
Welche neuen Ideen lassen sich daraus ableiten, um armutsbetroffenen Menschen zu helfen?
Evelyn Markoni: Es benötigt vonseiten der Stadt verschiedene Massnahmen, beispielsweise bestehende Angebote besser zu kommunizieren und bekannter zu machen, den Zugang zu Familiengärten und städtischen Anbauflächen zu verbessern und zu ermöglichen, Mittagstische anzubieten, Community Dinners inklusive Wissensvermittlung zu organisieren, Marktstände gleichmässiger auch in Quartieren zu verteilen und hier besondere Angebote zu ermöglichen. Auch dürfen wir das Thema Ernährung nicht abgetrennt von anderen Bereichen betrachten, beispielsweise der Mobilität. So gibt es derzeit nicht in allen Stadtteilen einen Marktstand mit frischen Lebensmitteln, sodass der Weg dorthin zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt, die bereits für die Suche nach Lebensmittelangeboten aufgewendet wird.
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wie sieht ein idealer städtischer Ernährungsraum aus?
Franziska Götze: In einer Stadt der Zukunft ist eine gesunde und nachhaltige Ernährung für alle sozial gerecht zugänglich. Wir haben sowohl die materielle als auch die soziale Ernährungsarmut bekämpft und Räume geschaffen, in denen wir gemeinsam kochen, essen und Zeit verbringen können, aber auch Flächen, auf denen wir gemeinsam Lebensmittel produzieren können. Wir haben darüber einen Diskurs geführt (und führen diesen weiter), was ein gutes Leben in den planetaren Grenzen bedeutet, und empfinden Suffizienz nicht als Verzicht, sondern als Glück.
Der Artikel stammt aus: focusHAFL 2/24