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Forschen für dich und mich
05.12.2024 Was nützt uns das? Wissenschaft aus der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften BFH-HAFL steckt in vielem drin: im Wald, im Gemüsefeld und in Produkten im Supermarkt. Wir forschen im Gespräch mit Direktorin Ute Seeling nach.
Frau Seeling, Hand aufs Herz: Hat Ihnen Wissen aus Ihrer Hochschule schon konkret gedient im Alltag?
Prof. Dr. Ute Seeling: Ja, oft sogar, gerade in der Küche. Im Fachbereich Food Science and Management drehen sich viele Forschungsarbeiten um die Vermeidung von Food Waste. Nur rund 30 Prozent der in der Schweiz erzeugten Lebensmittel landen ja tatsächlich auf dem Teller. Dieses Bewusstsein prägt natürlich auch das Verhalten beim Kochen, und man wird viel kritischer. Ich bemühe mich, die Lebensmittel möglichst komplett zu nutzen. Wissenschaft und Praxis auf beispielhafte Weise verbinden: Das ist die Mission der BFH-HAFL.
Geben Sie uns dazu ein Beispiel aus der Forschung.
Das ist typisch für unsere Forschung: stark angewandt und immer an den Problemen der Praxis orientiert. Für Forstbetriebe beispielsweise haben wir digitale Lösungen entwickelt, mit denen Waldbestände erfasst werden. Per App können Daten wie Baumart, Höhe und Dimension der Bäume sowie Holzvorräte einfach ermittelt werden.
Für die Forstbetriebe in der Schweiz führen wir auch jährlich mit dem Verband WaldSchweiz eine Betriebsanalyse durch und stellen die Ergebnisse zur wirtschaftlichen Lage den Betriebsleitenden zur Diskussion. Und um im Wald zu bleiben: Angesichts des Klimawandels ist es relevant, dass die Schweizer Wälder stabil sind, um Schutz für Menschen und Infrastruktur zu bieten. Im Bereich der Naturgefahren verfügen wir über hohe Kompetenz und können anhand von Simulationsmodellen Gefahren frühzeitig abschätzen.
Als Waldwissenschaftlerin sind Sie nahe am Wald dran. Und Projekte mit Praxisbezug aus der Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft?
Im Gemüsebereich laufen Projekte, in denen Forschende aus der Agronomie und der Lebensmittelwissenschaft eng zusammenarbeiten, denn Interdisziplinarität ist auch bei uns immer wichtiger geworden. So werden auf Versuchsflächen im Seeland von den Agronominnen und Agronomen Anbauverfahren für Gemüse entwickelt und getestet, die die natürlichen Ressourcen Boden und Wasser schonen. Gleichzeitig erforschen Lebensmittelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mikrobielle Schutzkulturen gegen Bakterien, welche vor und nach der Ernte zu Fäule auf Gemüsen oder Früchten führen können.
Warum ist es der BFH-HAFL wichtig, mit ihrer Forschung so konkrete Wirkung zu erzielen, Grundlagen sind ja auch relevant?
Selbstverständlich ist Grundlagenforschung essenziell. Für unsere Forschung jedoch sind Bedürfnisse und Herausforderungen der Praxis der Ausgangspunkt. Als grüne Hochschule wollen wir im Bereich Nachhaltigkeit auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Lösungen bereitstellen, die Fragestellungen zeitnah und konkret beantworten – dies bei möglichst viel Effekt, also Impact. Wir wollen Herausforderungen, die heute gesellschaftlich relevant sind, rasch angehen. Und wenn möglich auch die Zukunft antizipieren, um neue Probleme noch vor dem Entstehen zu erkennen. Wir forschen für die Zukunft.
Brennende Probleme zu ihren Themen gibt es genug: trockene, heisse Sommer, die Landwirtschaft und Wald zusetzen, Knappheit von Ressourcen ...
Das ist allerdings richtig – die Themen sind vielfältig und ungeheuer aktuell. Unsere Forschung bietet hier konkrete Ansätze, etwa zu Baumarten, die mit sich ändernden klimatischen Verhältnissen zurechtkommen, sodass auch in Zukunft in der Schweiz stabile (Schutz-) Wälder wachsen, die ihre Multifunktionalität weiter wahrnehmen können. Wir forschen auch zur gezielten Bewässerung landwirtschaftlicher Kulturen, um die Ressource Wasser effizient zu nutzen. Und zu Nebenströmen, also Nebenprodukten aus der Lebensmittelherstellung, um daraus mit Fokus auf die Kreislaufwirtschaft neue Produkte zu entwickeln – wie Fleischersatzburger aus Okara, das bei der Herstellung von Sojamilch oder Tofu übrig bleibt.
Ein Fleischersatz beim Grossverteiler – Sie meinen, die BFH-HAFL macht Forschung «für dich und mich»?
Ja, vielleicht darf man das so sagen. Den Effekt unserer Forschung sollten wir – zumindest indirekt – schon spüren. Ob auf dem Acker, im Wald oder auf dem Teller: In den Wertschöpfungsketten, in denen wir uns alle täglich bewegen, ist sicher ab und zu ein Stück Forschung und Arbeit der BFH-HAFL enthalten.
Wer profitiert noch von der wissenschaftlichen Expertise aus Zollikofen?
Unternehmen und öffentliche Stellen, sowohl regional als auch national, mit denen wir Studien durchführen, selbstverständlich auf unabhängiger Basis. Wir sind eine forschungsstarke Institution, weshalb wir auch gewichtige Auftraggebende haben, zum Beispiel das BLW, das BAFU und auch grosse Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Aber auch die vielen innovativen KMU, Start-ups und Spin-offs, die an den Forschungsarbeiten der BFHHAFL beteiligt sind, profitieren – und wir ebenfalls von ihnen. Somit wird über die Wirtschaft und die öffentliche Hand unsere Expertise multipliziert und darum auch für viele nutzbar.
Wie sorgen Sie dafür, dass an der BFH-HAFL Forschung entsteht, die nicht nur spannend ist, sondern auch etwas bewegt?
Das Wichtigste sind kreative, innovative Menschen mit herausragender Expertise. Wir versuchen, ihnen gute Bedingungen für ihre Forschungsarbeiten zu bieten. Gepaart mit Interdisziplinarität, Fragestellungen direkt aus der Praxis und einem starken Netzwerk entsteht ein fruchtbarer Boden – im wahrsten und übertragenen Sinn –, wo nachhaltige Projekte und Produkte wachsen.
Stichwort Innovationen: Die BFH-HAFL bezeichnet sich als innovativ – was ist darunter zu verstehen?
Wir bieten vielfältige Expertise im Innovationsmanagement, um Tendenzen zum Beispiel in der Agro-Food-Branche zu erfassen und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die zu einem nachhaltigen und gesundheitsfördernden Ernährungssystem beitragen. Am Werk sind bei uns etwa die Innovations-Manufaktur, das Innovation Camp der BFH-HAFL und das Entrepreneurship Office der BFH, das hier in Zollikofen ein Büro hat. Start-ups sind der Inbegriff von Innovation.
Haben Sie auch für solche ein Angebot?
Wir bieten Start-ups einen idealen Standort, insbesondere in der Lebensmitteltechnologie: Wir stellen ihnen modernste Infrastruktur, innovative Prozesse und kreative Forschungsteams zur Seite. Im Moment forschen mehrere Teams in Zollikofen mit dem Ziel, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Ein Forschungsteam ist beispielsweise dabei, aus Nebenprodukten proteinreiches Fischfutter zu produzieren, oder ein anderes nutzt wertvolle Inhaltsstoffe für Kosmetika und Lebensmittel.
Zurück zur Hochschule, in die Lehre: Profitieren auch die Studierenden der BFH-HAFL von der hauseigenen Forschung?
Ja, unbedingt. Sie sind die Fachkräfte von morgen. Wir bemühen uns um einen guten Wissenstransfer von der Forschung in die Lehre. Die Studierenden können schon früh im Studium an Studien teilnehmen, die draussen echte Auswirkungen haben. Erwähnenswert ist auch das besondere Lehr-Lern-Konzept in unserem neuen Bachelorstudiengang Umwelt- und Ressourcenmanagement. Mit Challenge-Based Learning lernen Studierende anhand realer Beispiele: Sie entwickeln Lösungen, die effektiv gleich umgesetzt werden.
Zum Impact eines Studiums in Zollikofen: Wie schnell finden Absolventinnen und Absolventen eine Arbeitsstelle?
Wir sind stolz darauf, dass viele Absolventinnen und Absolventen bereits bei Studienabschluss einen Vertrag in der Tasche haben. Ausgestattet mit Kompetenzen und aktuellem Fachwissen sind die Diplomierten gerüstet für die Herausforderungen in den Branchen Agronomie, Lebensmittel- oder Waldwirtschaft. Oft dürfen wir uns auch über ein Wiedersehen freuen – im Masterstudium, als Ehemalige, in einer Weiterbildung oder an einer Veranstaltung. So tragen die Absolventinnen und Absolventen wiederum zu einer Stärkung unserer Netzwerke bei. Ein Kreislauf, der sich schliesst.
Der Artikel stammt aus: focusHAFL 2/24