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Der Wald als Wasserspeicher
06.08.2024 Hangrutsche nehmen weiter zu. Beregnungsexperimente zeigen die Fähigkeit der Wälder auf, Wasser zu speichern. Und sie machen deutlich, welche Faktoren diese beeinträchtigen.
Wälder fungieren als bedeutende Reservoire für Regenwasser. Die Effizienz dieser Speicherfunktion hängt massgeblich vom Zustand des Waldes ab. Und sie erhält bei Schutzwäldern, die etwa 40 Prozent der gesamten Schweizer Waldfläche ausmachen, eine entscheidende Bedeutung. Schutzwälder helfen mit, Naturgefahren wie Lawinen, Steinschlag, Hangrutsche oder Erosion zu verhindern oder zu mindern. So schützen sie Siedlungen und Strassen.
Die hydrologische Wirkung eines Waldes – also seine Fähigkeit, Wasser zurückzuhalten – beeinflusst direkt die Schutzwirkung vor Überschwemmungen und Erdrutschen. Wie effektiv diese Wirkung ist, wird durch vielfältige Faktoren bestimmt: den Bodentyp, wie der Boden durchwurzelt ist, welche Baumarten im Wald vorkommen, wie sich die Vegetation im Unterholz zusammensetzt und ob es Laubstreu auf dem Boden hat. Störungen wie intensiver Holzschlag oder ein übermässiger Wildbestand können diese Wirkung jedoch beeinträchtigen. Insbesondere starker Verbiss durch Wildhuftiere wie Hirsche, Rehe und Gämsen kann den Aufbau des Humus, das Baumwachstum und die Baumartenzusammensetzung negativ beeinflussen. Bei Kombination mit anderen Störungen wie Waldbränden oder Befall durch Borkenkäfer wird die Schutzwirkung des Waldes langfristig herabgesetzt.
Viel Wild, mehr Wasserabfluss
Um die hydrologische Wirkung zu bestimmen, können Wälder künstlich beregnet werden. Das am Hang abfliessende Wasser wird aufgefangen und gemessen. Solche Projekte sind sehr aufwändig, wie Massimiliano Schwarz, Dozent für forstliche Bodenkunde und Ingenieurökologie an der BFH-HAFL, erklärt. «Um den Einfluss von ‹Wildverbiss› auf die Speicherung von Wasser zu messen, haben wir eine Fläche, welche durch Wildschutzzäune abgezäunt ist, untersucht und verglichen», führt er weiter aus. In diesen abgezäunten Bereichen konnten die Forschenden davon ausgehen, dass keine Wildhuftiere den Wald beeinflussen. Das Resultat der Untersuchungen: In diesen Gebieten fliesst viel weniger Wasser ab. Oder anders ausgedrückt: Der Waldboden kann Wasser besser speichern.
So auch im Lavina-Schutzwald im bündnerischen Mesocco. «Eine hohe Population von Wildtieren verstärkt also den Wasserabfluss, was wiederum das Risiko von Hangrutschen und Murgängen erhöht», fasst Massimiliano Schwarz die Haupterkenntnis der Studie «Monetäre Bewertung von wildhuftierbedingten Verjüngungsproblemen im Schutzwald», in Auftrag gegeben vom Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden und 2023 durchgeführt von zwei regionalen Forstingenieurbüros sowie den Waldwissenschaften der BFH-HAFL, zusammen. Allerdings hat sich in diesem Fall gezeigt, dass die Kosten für Präventivmassnahmen gegen Wildschäden wie Zäune, Aufforstungen oder der Schutz einzelner Bäume deutlich höher ausfallen als die Kosten, die durch das zunehmende Risiko von Hangrutschen und Murgängen entstehen, sagt Massimiliano Schwarz. Sein Fazit lautet daher: «Wenn der Wilddruck so hoch bleibt, müssen wir uns in Zukunft mit einem höheren Risiko von Hangrutschen auseinandersetzen.»
Finanzielle Konsequenzen
«Die Fallstudie des Lavina-Schutzwaldes verdeutlicht, wie sich der aktuelle Wildbestand auf den Wald auswirkt», erklärt Marco Vanoni, Bereichsleiter für Schutzwald und Waldökologie beim Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden. Dank der Studie liegen konkrete Empfehlungen für Schutzmassnahmen wie Netze und Dämme vor, die mithelfen, die finanziellen Konsequenzen besser abschätzen zu können. Die Resultate der Untersuchung werden den Waldbesitzern und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Der Artikel stammt aus: focusHAFL 1/24