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Design Thinking: Mit spielerischem Ansatz Prozesse ermöglichen
12.12.2022 Seit 2021 bietet die Berner Fachhochschule (BFH) den Fachkurs «Prozessgestaltung mit Design Thinking» an. Die Methode mit Kreativtechniken kommt ursprünglich aus der Produktentwicklung, doch ihre Anwendung im Gesundheitsmanagement nimmt zu. Die drei Studienleiterinnen des Fachkurses erklären im Interview, welche Vorzüge Design Thinking bietet.
Die Design-Thinking-Methode hat sich im modernen Management zum Trend entwickelt. Was hat euch dazu bewogen, Design Thinking in eurem Angebot einzubinden?
Manuela Grieser: Das Departement Gesundheit der BFH legt in seinem Angebot grossen Wert auf User Involvement, also darauf, Betroffene und Angehörige in Prozesse und Produktentwicklungen miteinzubeziehen. Das Design Thinking macht dies sehr stark. Durch den spielerischen Ansatz lassen sich Prozesse und Entwicklungen aufdecken, die über kognitive Methoden nicht zugänglich oder erkennbar wären.
Jennifer Konkol: Beim Kurs geht es um Fragen, wie man zum Beispiel die Prozesse innerhalb eines Teams mit Personen, die verschiedene Ausbildungsgrade haben, zukünftig so gestaltet, dass alle gut miteinander arbeiten können. Design Thinking hilft den Teilnehmenden, an verschiedenen Anknüpfungspunkten im Veränderungsprozess in die Tiefe zu gehen, einen Perspektivenwechsel einzunehmen und nicht methodisch strukturiert an der Oberfläche zu bleiben.
Barbara Backhaus: Trotzdem gibt das Design Thinking eine gute Struktur vor, denn gerade der Tiefenprozess birgt die Gefahr, dass man sich verliert. Durch das strukturierte Vorgehen auf eine spielerische Art haben die Teilnehmenden einen Faden, an dem sie sich weiterhangeln können. Das hilft, auch sehr anspruchsvolle Themen zu behandeln. Wir wenden dabei nicht die klassische Methode des Design Thinkings mit einem Weiterjagen mittels Timeboxing an, sondern folgen dem Fluss der Gruppe. Ein klassischer Design Thinker wäre wohl entsetzt, wenn er zu uns in die Gruppe käme (lacht).
Welche Themen werden im Kurs bearbeitet?
Manuela Grieser: Dieses Jahr wurden Fragestellungen bearbeitet wie zum Beispiel «Wie kann ich mit Personen verschiedener Skills und Grades arbeiten?», «Wie kann ich mein Unternehmen oder meine Abteilung nach aussen sichtbar machen?» oder «Wie gehe ich mit Team-Fusionen um und wie können die zwei Teams zusammenwachsen?». Es sind also Themen, die aus dem Leben, aus dem Berufsalltag und aus der Organisationsentwicklung kommen.
Was macht den Kurs besonders im Vergleich zu herkömmlichen Angeboten der Prozessgestaltung?
Barbara Backhaus: Wir haben nicht nur Teilnehmende aus dem Gesundheitssystem, denn unser Angebot hat sich nach der ersten Durchführung bereits in anderen Branchen herumgesprochen. Das passt zum Angebot, denn Design Thinking verfolgt typischerweise einen heterogenen Ansatz und kann aus möglichst vielen Disziplinen und Professionen vermitteln. So fliessen auch andere Wahrnehmungen aus ganz anderen Berufen ein.
Aus welchen anderen Branchen hattet ihr Kursteilnehmer*innen? Mit welchen Fragestellungen?
Barbara Backhaus: Im letzten Kurs waren Teilnehmende aus der Energiebranche, also einem ganz anderen Feld, dabei. Grundsätzlich sind sie auf der Suche nach Methoden, die ihnen das Leben leichter machen … die es so natürlich nicht gibt (lacht). Nein, es geht oft um die eigene Haltung in Veränderungsprozessen, für die wir Modelle anbieten.
Jennifer Konkol: Ich habe den Eindruck, dass all unsere Teilnehmenden versucht haben, etwas Neues einzuführen, und dann merkten, dass dies nicht funktioniert, wenn sie es rein vom Kopf her denken, dann kommunizieren, mit ein paar Leuten besprechen und danach einführen. Normalerweise will man möglichst schnell und schlank durch einen Veränderungsprozess kommen. Und bei uns im Kurs lernen die Teilnehmenden, dass es in gewissen Phasen ungemütlich wird und knarzt, weil sie die Prozesse selbst durchlaufen. Es geht nicht darum, aus diesen schwierigen Phasen möglichst schnell rauszugehen, sondern darum, sich zu vertiefen. Denn in diesen Momenten passieren in der Gruppe ganz wichtige Prozesse, und die Teilnehmenden lernen, was sie dann tun können und worauf es ankommt. Das ist es, was unseren Kurs besonders macht.
Dann gebt ihr den Kursteilnehmer*innen das Rüstzeug, dass sie solche Prozesse selbst anstossen, moderieren und begleiten können?
Barbara Backhaus: Ja, und zwar nicht mit dem Anspruch, dass es gleich super funktionieren muss, sondern mit dem Wissen und der Erfahrung, dass es eben oft nicht so funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat, und der Prozess seinen eigenen Weg geht. Die Teilnehmenden haben alle erlebt, dass sich ihre ursprüngliche Fragestellung änderte, und jede*r war nach dem Kurs an einem anderen Ort. Unsere Hoffnung ist es, dass die Teilnehmenden ihre Projekte in der Praxis anders angehen und ein Scheitern auch als Chance sehen, um an die eigentlichen Fragestellungen ranzukommen.
Wem würdet ihr ans Herz legen, diesen Kurs zu absolvieren?
Manuela Grieser: In der letzten Kursdurchführung nahmen Ärzt*innen, Hebammen, Physiotherapeut*innen, Pflegende und Einzelpersonen aus dem Energiebereich teil. Der Kurs ist vor allem für Menschen interessant, die bei der Einführung von Veränderungsprozessen mit konventionellen Methoden gescheitert sind. Sie lernen hier nachhaltige Lösungen zu entwickeln.
Inwiefern beeinflusst die Interprofessionalität der Kursteilnehmenden die Prozesse, die im Kurs behandelt werden?
Manuela Grieser: Der Perspektivenwechsel wird auf jeden Fall spannender, wenn Personen verschiedenster Professionen dabei sind. Egal in welchem Sektor wir arbeiten, wir kämpfen alle mit den gleichen Problemen auf der Metaebene. Weil es immer um Menschen geht, um Entwicklungen, um Ängste vor Veränderungen und Unsicherheiten.
Jennifer Konkol: Was ich auch schön finde, ist, dass die Hierarchieebenen in diesem Kurs nicht spürbar sind. Durch die Design-Thinking-Methode begegnet man sich auf Augenhöhe.
Barbara Backhaus: Das passiert immer, wenn Menschen ins Spielen kommen. Dann verlieren sich diese aufgesetzten Rollen. Die Teilnehmenden kommen in einen Flow, in dem sie sich vergessen und für sie untypische Dinge tun, sie basteln oder schauspielern. Im Spiel werden sie kreativ und gelangen an tiefere Erkenntnisse, die sie verinnerlichen können. Eine Studentin hat herausgefunden, dass sie auf der Suche nach Ideen nicht sitzen oder stehen darf, sondern hinausgehen und sich bewegen muss. Was für eine grossartige Erkenntnis!
Barbara Backhaus, Facilitatorin, Master in Organizational Development mit dem Schwerpunkt Komplexitätsmanagement, Organisationsberatung- und Entwicklung, Dozentin Fachkurs Prozessbegleitung mit Design Thinking, kreativeloesungswege.ch
Jennifer Konkol, Master in Wirtschaftspsychologie mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie, Organisationberatung- und Entwicklung, Facilitatorin, Dozentin Fachkurs Prozessbegleitung mit Design Thinking, funkenspruehen.ch
Manuela Grieser, Studienleiterin, Diplompflegewirtin, MA Erwachsenenbildung, Facilitatorin
Design Thinking
Die Design-Thinking-Methode stammt aus Kalifornien und verfolgt das Ziel, Services, Produkte und Prozesse zu entwickeln, die aus Anwender*innensicht überzeugend und dennoch markt- und produktorientiert sind. Der Ansatz hilft, Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln. Dabei treffen verschiedene Perspektiven aufeinander, es können neue Potenziale entdeckt und eine positive Fehlerkultur – Scheitern ist Teil des DesignThinking-Prozesses – gefördert werden.
Gesundheitsmagazin «frequenz»
Dieser Beitrag ist Teil der September-Ausgabe 2022 unseres Magazins «frequenz».