Jorge Christie – «Wenn du nicht an den Erfolg deiner Idee glaubst, tut es auch kein Anderer»
«Mich reizt die Herausforderung, einen sinnvollen Beitrag an die Entwicklung unserer Gesellschaft zu leisten», sagt Jorge Christie. Er entwickelt mit seinem Start-up Strong by form nachhaltige Konstruktionslösungen aus Holz. «Damit können wir die Baubranche ökologischer machen.»
Herr Christie, wollen Sie mit Ihrem Start-up reich werden?
Nein. Geld im Überfluss zu haben, bedeutet mir persönlich nichts. Auf unser Start-up bezogen, ist Geld natürlich enorm wichtig. Es ermöglicht uns, vorwärts zu kommen, Neues zu entwickeln, den Weg weiterzugehen. Solange ich also das Geld in etwas Sinnvolles investiere, kann ich nicht genug davon bekommen.
Was ist die Business-Idee Ihres Start-ups?
Wir entwickeln Technologien, die es uns ermöglichen, mit der Natur zusammen zu arbeiten anstatt gegen sie. Im Moment verwenden wir dazu Holz-Konstruktionen: Holz ist ein leichter, nachhaltiger und erst noch schöner Rohstoff, deshalb eignet er sich sehr gut. Wir haben eine «Design-to-Manufacturing»-Technologie entwickelt, mit der wir die intelligenten «Prinzipien» von Holz in Baukonstruktionen umsetzen. Unser grundsätzliches Ziel ist es, kontinuierlich neue und nachhaltige Technologien zu entwickeln, mit denen CO2-intensive Materialien wie Beton oder Stahl ersetzt werden können.
Was bedeutet das konkret?
Wir orientieren uns an Bäumen, an der Faserstruktur von Holz. Bäume sind Hochleistungsstrukturen. Sie halten erstaunlichen Belastungen durch Wind und Schnee stand, weil sie die richtige Form, Dichte und Faserorientierung haben. Daraus leiten wir Konstruktionen ab, mit denen bei minimalem Gewicht maximale Leistungen möglich sind. Als Prototypen haben wir zum Beispiel eine Holzschale entwickelt, die bei minimaler Durchbiegung Lasten von über 300 kg trägt – und selber nur 854 Gramm wiegt. Mit diesen Erkenntnissen entwickeln wir zum Beispiel Verbindungselemente oder tragende Strukturen für die Bauwirtschaft. Mit unserer Fertigungstechnologie ermitteln wir die richtige Platzierung eines individuellen Bauteils aus Holz mit der richtigen Dichte, Faserorientierung und Dicke. So wird es in Zukunft auch möglich sein, ein leichtes, aber sehr stabiles Fahrgestell eines Elektroautos aus Holz herzustellen. Das macht die Elektromobilität zu einer wirklich nachhaltigen Technologie.
Warum ist das eine gute Business-Idee?
Weil viele Industriezweige nachhaltiger werden müssen. Allein die Bauwirtschaft ist für knapp 40 Prozent der weltweiten Umweltverschmutzung verantwortlich. Wir können dazu beitragen, dass diese Branche ökologischer wird. Das ist unser wichtigstes Verkaufsargument.
Sie haben das Start-up 2018 mit zwei chilenischen Kollegen gegründet. Warum sind Sie nach Europa gekommen?
Weil wir realisiert haben, dass unser wichtigster Markt im Moment in Europa liegt. Das Umweltbewusstsein ist hier viel grösser, die finanziellen und technischen Voraussetzungen für die Entwicklung nachhaltiger Technologien sind in Europa viel besser. Ich habe einen Master in Architektur absolviert, dann einen Master in digitaler Fabrikation an der ETH Zürich. Derzeit arbeite ich am Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart an meiner Doktorarbeit in strukturellem Architektur-Design. Der grosse Vorteil ist, dass ich mich dabei mit unseren Produkten beschäftigen kann.
Welches sind die bisherigen Meilensteine Ihres Start-ups?
Am allerwichtigsten sind die Partner. Wir drei sind alte Freunde, können uns komplett aufeinander verlassen. Wir ergänzen uns in fachlicher Hinsicht sehr gut und arbeiten alle mit der gleichen Hingabe an unserem Projekt. Wenn diese Voraussetzungen im Team nicht erfüllt sind, wird es schwierig. In Chile gewannen wir einen ersten Start-up-Preis, danach konzentrierten wir uns voll auf unser Start-up. Wir gewannen weitere Preise, zuletzt fanden wir Investoren in Chile und in der Schweiz. Wie eingangs erwähnt: Wen man neues Kapital dazu gewinnt, kann man den nächsten Entwicklungsschritt machen. So können wir weitere Materialien erforschen, Softwarelösungen und Fertigungstechniken entwickeln. Dafür braucht es hohe Investitionen.
Welche Rolle spielt dabei die BFH?
Eine sehr wichtige. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit profitieren wir vom enorm grossen Know-how der BFH-Mitarbeitenden in Architektur und Holzbau. Auch können wir dort unsere Produkte herstellen, die Infrastruktur dazu ist hervorragend. Zusammen mit dem Schweizer Immobilien-Unternehmen Mowe Haus, das ebenfalls Partner der BFH ist, entwickeln wir derzeit eine kleine Holz-Kabine, in die man sich im Homeoffice zurückziehen kann. Mowe Haus ist einer unserer Investoren und gleichzeitig unser erste Kunde für solche Kabinen. Das ist für uns eine ideale Situation: Das erste Produkt, das ein Start-up auf den Markt bringt, ist sehr wichtig. Wir können es in direkter Zusammenarbeit mit unserem ersten Kunden entwickeln und anpassen, also in einem überschaubaren Rahmen. So haben wir auch mehr Kontrolle über die Entwicklung. Ende 2022 wollen wir mit dem Verkauf starten.
Haben Sie oft gezweifelt?
Ja und nein. Zweifel hatte ich immer nur, wenn es um konkrete Entscheidungen ging, wie wir etwas umsetzen wollen. An der Geschäftsidee hatte ich nie Zweifel. Im Gegenteil: Ich war immer der Meinung, dass wir sie umsetzen müssen, weil es ansonsten jemand anderes macht.
Was fasziniert Sie an der Arbeit als Start-up-Gründer?
Zum einen reizt mich die Herausforderung, eine sinnvollen Beitrag an die Entwicklung unserer Gesellschaft zu leisten. Zum anderen gefällt mir die Zusammenarbeit mit meinen beiden Freunden. Ich profitiere von ihrer Intelligenz und Kreativität. Es ist sowieso erstaunlich, wie vielen faszinierenden Persönlichkeiten man auf dem Weg einer Unternehmensgründung begegnet.
Auf was sollten Gründerinnen und Gründer besonders achten?
Dass man die richtigen Partner und Mitarbeitenden findet. Und zwar solche, die über andere Fähigkeiten verfügen als du, die deine also ergänzen. Die Geschäftsidee kann noch so brillant sein: Wenn du nicht die richtigen Leute findest, kannst du es vergessen. Und dann musst du wirklich an den Erfolg der Idee glauben. Denn wenn man es selber nicht tut, wird auch kein Anderer daran glauben.