Rekonstruktive Forschungsmethoden in der Lehre: Beforschung der Fallwerkstätten

Das Projekt identifiziert und untersucht das Potenzial des rekonstruktiven Ansatzes für die Kompetenzentwicklung im Rahmen eines Hochschulstudiums. Wie fördert dieser Ansatz in der Fallwerkstatt berufsrelevante Kompetenzen?

Factsheet

Situation

Die Studierenden der Sozialen Arbeit besuchen während ihres zweiten Praxismoduls an der Berner Fachhochschulde sogenannte Fallwerkstätten. In Seminargruppen werden Praxisfälle der Studierenden analysiert. Sowohl die Dokumentation der Praxisfälle wie auch die Analyse in den Werkstätten orientieren sich an Methoden der qualitativen Sozialforschung. Die analytische Durchdringung soll als Grundlage zur Entwicklung von Handlungsoptionen dienen. Das Projekt legte den Fokus auf den Einsatz von Methoden der rekonstruktiven Sozialforschung und ging der Frage nach, inwiefern dadurch die Kompetenzentwicklung der Studierenden gefördert werden kann. Während drei Semestern (Herbst 2021 bis Herbst 2022) wurden die Fallwerkstätten untersucht. Das Projekt wurde durch interne Mittel finanziert. Das Forschungsteam bestand, im Sinne von Scholarship of Teaching and Learning (SOTL), aus den Lehrpersonen der beforschten Fallwerkstätten.

Course of action

Für die Fallwerkstätte verschriftlichten die Studierenden einen Fall, der in den Fallwerkstätten gemeinsam analysiert wurde. Die Studierenden verfassten Protokolle zum methodischen und didaktischen Vorgehen in den Fallwerkstätten. Im Anschluss an die Analyseeinheit verschriftlichten die fallbringenden Studierenden die Ergebnisse. In Anlehnung an das Verfahren des theoretical samplings (Glaser & Strauss, zitiert nach Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2009, S. 177) wurden zufällig Fälle der verschiedenen Fallwerkstätten analysiert. Dabei wurde eine Vorselektion in Bezug auf den Analysezeitpunkt getroffen, ausgehend von der Hypothese, dass sich im Verlauf der Fallwerkstatt die Analysekompetenzen der Studierenden erhöhen und ein Vertrauensaufbau stattfindet, was zu differenzierteren Analysen und Erkenntnissicherungen beitragen kann. Im Verlauf der Analyse wurde bei der Fallauswahl das Prinzip der Minimierung und Maximierung von Unterschieden (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2009, S. 177) angewendet. In einem ersten Schritt wurden bezogen auf den Grad des Erkenntnisgewinns kontrastierende Fälle gesucht und genauer analysiert. An-schliessend wurden diese mit ähnlichen Fällen verglichen und es wurden Typen herausgearbeitet. Die Analyseeinheiten wurden zuerst durch eine Person aus dem Forschungsteam analysiert, die nicht als Lehrperson direkt in die entsprechende Fallwerkstatt invol-viert war. Die Analyse erfolgte nach einem standardisierten Schema.

Result

Zusammenfassend erweist sich ein rekonstruktives Vorgehen als leistungsfähig, um Praxisfälle zu analysieren und als rationale Grundlage für fortgesetztes professionelles Handeln zu nutzen. Gleichzeitig ist das Vorgehen anspruchsvoll und der Prozess kann auf vielseitige Weise mehr oder weniger scheitern. Um dem vorzubeugen, konnten auf der Grundlage der Forschungsergebnisse Empfehlungen formuliert werden. SoTL stellt die Forschenden selbst in den Fokus der Forschung. Als interessant erlebten die Forschenden, dass sie selbst in den kritischen Blick der Forschung gerieten. Das war vor allem spannend, weil das Setting eine Analogie zur Selbstbeforschung der Studierenden im Rahmen der Fallwerkstatt aufweist. So liessen sich die Empfindungen und Herausforderungen der Studierenden insofern besser nachvollziehen, als auch die Forschenden mit dem Impuls zur Erklärung und Rechtfertigung reagierten, wenn ihre methodische und didaktische Gestaltung der Fallwerkstatt (also ihre Professionalität) durch die Beforschung kritisch hinterfragt wurde. Die Involviertheit der Forschungsperson ist zwar bei einem kontextsensiblen Verständnis von Sozialforschung nicht neu. Da die Forschenden zugleich verantwortliche Lehrperson sind, ist die Verwobenheit in den Prozess der Datenerhebung und die Einschätzung der Erkenntnisse der Studierenden besonders herausfordernd. Hilfreich war die Zusammenarbeit im Forschungsteam, um Distanz herzustellen zu der eigenen Betroffenheit.