• Story

Klein, aber fein: Fachstelle Familie nach dem Spiezer Modell

20.02.2025 Familien sollen sich wohlfühlen - dieser Wunsch stand am Anfang des Spiezer Pilots für eine niederschwellige Familienanlaufstelle. Die BFH hat das Projekt begleitet und evaluiert. Es wurde im Sommer 2024 vom Spiezer Parlament einstimmig in den Regelbetrieb überführt. Was kann eine kleine Fachstelle wie diejenige in Spiez bewirken?

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Fachstelle Familie in Spiez dient als zentrale Anlaufstelle und arbeitet als Drehscheibe, um Familien zu beraten und sie an die richtigen Stellen weiterzuleiten.

  • Sie hat mehrere erfolgreiche Initiativen wie den MitSpielplatz umgesetzt, die die Teilhabe verschiedener Bevölkerungsgruppen fördern und das Gemeinschaftsgefühl stärken.

  • Die Evaluation der BFH hob die Wirksamkeit der Fachstelle hervor, worauf das Spiezer Parlament 2024 das Pilotprojekt in den Regelbetrieb überführte.

Joel Stalder, Sie leiten mit einem Pensum von vierzig Prozent die Spiezer Fachstelle Familie. Was tut die Fachstelle konkret?

Stalder: Es gibt in Spiez viele Angebote für Familien. Den Zugang zu finden, ist nicht einfach. Die Fachstelle ist deshalb wichtig als Eingangspforte. Ich helfe den Leuten, das für sie passende Angebot oder die richtige Stelle zu finden, zum Beispiel wenn sie nicht wissen, welche familienergänzenden Betreuungsmöglichkeiten es gibt oder wie das mit den Betreuungsgutscheinen funktioniert. Wer an mich gelangt, ist bei mir nicht falsch. 

Städte wie Thun oder Bern betreiben auch Familienfachstellen. In einigen ist die Fachstelle als Familienberatungsstelle ausgestaltet. Manchmal wird eine ganze Abteilung als Fachstelle bezeichnet, die dann die Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und Schulsozialarbeit mitumfasst. Das ist in Spiez anders. Inwiefern unterscheidet sich das Spiezer Modell davon?

In Spiez ist die Fachstelle sehr klein, quasi ein «Spurenelement in der Verwaltung». Wir fokussieren uns stark auf die Vernetzung und die Funktion als Drehscheibe. Die Fachstelle ist zudem als Stabsstelle organisiert, direkt bei der Abteilungsleitung Soziales der Gemeinde. Das erlaubt kurze Wege.

Was ist der Mehrwert der Fachstelle?

Familie ist ein Querschnittsthema, das überall auftaucht. Wichtig sind deshalb die Zusammenarbeit über die Grenzen der Verwaltungsabteilungen hinaus und die Sensibilisierung der Fachpersonen der Gemeindeverwaltung für Fragen rund um Familien, zum Beispiel in der Einwohnerkontrolle. Weiter besteht ein enger Kontakt zu den Schulen, zur Schulsozialarbeit und zur Kinder- und Jugendarbeit. Fachpersonen profitieren, dass es eine Ansprechstelle für Familienfragen gibt. Die Fachstelle ist oft ein Lotse durch die Zuständigkeiten und Abläufe in der Verwaltung oder bei den Sozialwerken.
    Der direkte Mehrwert für die Familien ist, dass sie mit ihrem Anliegen gehört werden. Auch die diversen Projekte, die von der Fachstelle initiiert wurden, stellen Mehrwerte dar.
 

Joel Stalder, Leiter Fachstelle Familie der Gemeinde Spiez
Joel Stalder, Leiter Fachstelle Familie der Gemeinde Spiez

Können Sie die wichtigsten Projekte beschreiben?

Wir halten den Begriff «Familie» bewusst offen. Dazu gehören sicher Kinder. Mit Blick auf die frühe Kindheit haben wir zum Beispiel mit dem «MitSpielplatz» einen neuen Begegnungs- und Spielort geschaffen. Er wird in Zusammenarbeit mit der Ideenentwicklerin «Chindernetz Bern» und den Landeskirchen betrieben und findet derzeit sechsmal pro Jahr in Spiez statt. Hier können Kinder und ihre Begleitpersonen − Eltern, Gross­eltern oder andere Bezugspersonen− vorbeikommen. Die Kinder können spielen, es gibt auch Möglichkeiten des Austauschs unter den Begleitpersonen. Ich helfe da jeweils mit. Es ist eine sehr niederschwellige Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen und zu hören, welche Anliegen die Familien beschäftigen.

Sie sagen, Sie halten den Begriff «Familie» offen. An wen richten sich die Angebote sonst noch?

Unabhängig vom Alter gehören wir alle zu einer Familie. Es geht um Solidarität in der Gemeinde. Ein Projekt, das eben abgeschlossen wurde, stand unter dem Motto «Spiez − zäme ungerwägs». Es ging darum, die Vorhaben von Initiant*innen aus der Gemeinde sichtbar zu machen − zu ermutigen, zu erleichtern, auch mal eine Bewilligungen einzuholen. In diesem Rahmen sind vielfältige Aktivitäten entstanden. So hat etwa die Alterskommission zusammen mit Schulklassen eine Wanderung entlang der Gemeindegrenzen organisiert. Künstler*innen aus Spiez haben einen «Tag der offenen Ateliers» auf die Beine gestellt. Ein Chorprojekt und ein Velokino sind entstanden, ein «Spiezer-Lied» wurde komponiert und vorgetragen. Auch hat die Gemeinde die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen mit entsprechenden Aktionen gefördert.

Was braucht es, damit sich die Familien bei Ihnen melden?

Eine Fachstelle kann nicht niederschwellig genug sein. Ein Beispiel ist der erwähnte «MitSpielplatz». Dann bin ich einmal im Monat einen Nachmittag in der Gemeindebibliothek und stehe für Fragen zur Verfügung. Die Bibliothek ist ein öffentlicher Raum und für alle ohne Voranmeldung oder Hindernisse zugänglich. Ein anderes Projekt, «Hand in Hand», arbeitet mit Schlüsselpersonen und richtet sich an Familien, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Die Schlüsselpersonen sprechen diese Erstsprache und haben selbst Migrationserfahrung. Sie dienen als Vermittler*innen bei Alltagsfragen, beispielsweise im Kontakt mit der Schule. Im Moment können wir Schlüsselpersonen für zehn Sprachen anbieten. Das Projekt ist übrigens kürzlich in einer Publikation des UNHCR als «Good-Practice»-Beispiel vorgestellt worden. 
 

Der Entscheid zur Fachstelle ist im Sommer einstimmig gefallen. Das ist nicht alltäglich. Im Vorfeld gab es auch Bedenken. Zentral für die einhellige Zustimmung war der Evaluationsbericht der BFH, der sehr gut aufzeigte, wie die Stelle arbeitet und welche Wirkungen sie hat.

  • Anna Fink, bis Ende 2024 Gemeinderätin Soziales in Spiez
Joel Stalder im Gespräch mit BFH-Dozent Matthias von Bergen
Joel Stalder im Gespräch mit BFH-Dozent Matthias von Bergen

Die Gemeinde Spiez hat das Pilotprojekt in diesem Sommer in den Regelbetrieb überführt. Lässt sich das Spiezer Konzept auf andere Gemeinden übertragen? 

Grundsätzlich ja. Die Erfolgsfaktoren waren in Spiez sicher, dass Politik und Verwaltung dem Anliegen wohlgesinnt sind. Zudem haben wir Fachleute und Organisationen, die in der Gemeinde rund um Familienfragen tätig sind, von Beginn weg gut einbezogen. Das Pilotprojekt wurde von einer breit abgestützten Steuergruppe begleitet. Die Projektleitung lag nicht bei mir, sondern beim Abteilungsleiter Soziales. Schliesslich war sehr hilfreich, von Beginn weg drei Arbeitsschwerpunkte für die Fachstelle zu setzen. Die drei Themenfelder «Familien mit besonderen Herausforderungen», «Strukturen für Familien» und «generationenüber­greifende Zusammenarbeit» sind breit, sie haben aber geholfen, die Arbeit der Fachstelle zu fokussieren.

Die Ergebnisse der Evaluation

«Der Mehrwert der Fachstelle liegt vor allem darin, dass sie als Anlaufstelle für Fragen rund um das Thema Familie dient und sich auch um Fragen kümmert, die sonst von niemand anderem in der Gemeindeverwaltung bearbeitet werden.» Dies steht im Schlussbericht der BFH, der die Leistungen der Fachstelle insgesamt positiv bewertet. Demnach hat die Fachstelle Familie während der Pilotphase wichtige Projekte initiiert, die von den meisten Befragten als äusserst positiv für die Gemeinde eingestuft wurden. Als Beispiele nennt die BFH das Schlüsselpersonenprojekt «Hand in Hand», das Projekt «Spiez − zäme ungerwägs» oder den Bericht zu den Tagesschulen. Mit diesen Projekten konnten teilweise sogar zusätzliche Drittmittel erschlossen werden. 

Besonders positiv hervorgehoben wird zudem die Arbeitsweise der Fachstelle, Impulse zu geben und ermöglichend zu wirken, sich aber dann zurückzuziehen. Parallelstrukturen konnten so vermieden werden.    

Die BFH empfahl dem Gemeinderat denn auch, das Pilot­projekt in den Regelbetrieb zu überführen, die inhaltlichen Schwerpunkte zu konsolidieren und das Angebot bedarfsorientiert weiterzuentwickeln. Auch riet sie dazu, geeignete Begleitstrukturen aufzubauen und den Bereich Kommunikation und Sensibilisierung zu optimieren. 

Die Evaluation der BFH basiert auf Einzelinterviews mit Partnern der Fachstelle wie Schule, offene Kinder- und Jugendarbeit, Alterskommission und Integrationsausschuss, der Spiezer Standortförderung und dem Fachstellenleiter. Zudem wurden Gruppeninterviews mit Vertreter*innen der Steuergruppe geführt, der unter anderem Gemeinderätinnen, Vertreter der Sozialkommission und die Abteilungsleiter Soziales und Bildung angehörten. Auch die Ergebnisse zweier Workshops mit weiteren Schlüsselpersonen flossen mit in die Evaluation ein. 

Inwiefern hat die Fachstelle die familienpolitische Situation in Spiez verändert?

Durch die Stelle und die Projekte ist das Thema Familie in der öffentlichen Wahrnehmung bestimmt präsenter geworden. Wir konnten zeigen, dass es uns ernst ist, partizipativ zu arbeiten. Ein Künstler, der im Rahmen der «offenen Ateliers» mitwirkte, hat es treffend auf den Punkt gebracht: «Es geht nicht darum, was die Gemeinde für mich tun kann. Ich habe gemerkt, dass wir selbst aktiv werden und dann auch etwas erreichen können.» Die Gemeinde will dieses Selbsttun ermöglichen und erleichtern. Es geht darum, sich in der Gemeinde gemeint zu fühlen. Dies wurde in den letzten Jahren spürbar. 

Mehr erfahren