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Fachkräftemangel im Sozialwesen: Was dahinter steckt und was wir tun können
17.04.2023 Alle sprechen vom Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, doch der Sozialbereich kämpft mit ähnlichen Problemen. Die Fluktuation ist hoch, alle suchen händeringend nach Personal: Sozialpädagog*innen, Betreuer*innen im Asylwesen und Führungspersonen sind gefragt wie nie. Wir haben Dozentin Dalia Schipper zu Lösungsansätzen befragt.
Was können Organisationen tun, damit Sozialarbeitende bei ihnen bleiben?
Viele Mitarbeitende im Sozialbereich haben eine starke intrinsische Motivation. Sie haben in der Regel ihre Arbeit sehr bewusst ausgewählt, aufgrund inhaltlicher Sinnhaftigkeit. Sozialarbeitende können in der aktuellen Fachkräftesituation auswählen: Schulsozialarbeit oder doch lieber Sozialhilfe? Verwaltungstätigkeit oder Offene Jugendarbeit? Familienbegleitung oder besser Altersarbeit? Das heisst, wir können davon ausgehen: Wenn sich eine Person für eine bestimmte Organisation entschieden hat, dann arbeitet sie in ihrem Wunschbereich. Solche Mitarbeitende sollten eigentlich dem Arbeitsort treu bleiben, vorausgesetzt sie sind inhaltlich ausgefüllt und werden in ihrem Wissen und Können wahrgenommen und geschätzt. Da geht es Sozialarbeitenden gleich wie allen anderen.
Trotzdem ist die Fluktuation im Sozialbereich grösser als in anderen Branchen, warum?
Die Realitäten sorgen dafür, dass hier oftmals guter Rat teuer ist: Der Druck von aussen, die politischen und finanziellen Vorgaben, die ändern können, der Anspruch an rasche Anpassungsfähigkeit, eine Klientel, die unter Umständen anspruchsvoller wird, neue Aufgaben, andere Anspruchsgruppen. Wenn Sozialarbeitende infrage stellen, alles mitzumachen, kann wahrscheinlich auch die Organisation wenig ändern. Vermutlich sind es in solchen Fällen eher zwischenmenschliche Werte und Beziehungen, die zum Bleiben führen können. Mit besserem Lohn und Nebenleistungen können die wenigsten Sozialen Organisationen dienen – und ich wage auch zu bezweifeln, ob sich viele Sozialarbeitende mit materiellen Versprechungen an eine Arbeit binden lassen, die sie so nicht mehr ausführen wollen oder können ….
Sie sagen, das Zwischenmenschliche ist wichtiger als anderes. Was bedeutet dies für Führungsverantwortliche konkret?
Wir kennen das alle: Wenn viel von uns verlangt wird, brauchen wir umso mehr Sicherheit und Abstützung. Genau hier können Führungskräfte viel bewirken. Sie tragen dazu bei, dass sich Mitarbeitende geschätzt fühlen. Sie können zudem die Arbeitsbedingungen umsichtig und agil gestalten oder diese, falls nötig, auch umgestalten. Wer führt, kann weiter die Beziehungen innerhalb des Teams beeinflussen. Kurz gesagt: Die Führungskraft sollte also darauf abzielen, den Mitarbeitenden den Rahmen zu geben, den sie brauchen, um gut arbeiten zu können.
Hier können unsere Weiterbildungen Führungskräfte gezielt weiterbringen. Sie lernen Instrumente und Methoden kennen und anwenden, die ihnen die Beziehungsgestaltung erleichtern. Ausserdem erhalten sie Gelegenheit, sich im Austausch mit Expert*innen aus der Praxis und anderen Führungskräften zu reflektieren. Sie können auch Neues einüben und für sich eine klare Vorstellung entwickeln, welcher Rahmen in ihrer Organisation und in ihrem Team zweckmässig ist.
Was sind aus Ihrer Sicht die interessanten Aspekte der Führungsaufgaben im Sozialbereich?
Es ist genau diese Beziehungsgestaltung. Im Fokus der Arbeit im Sozialbereich steht für die Mitarbeitenden der Mensch. Sie knüpfen mit ihnen Beziehungen und suchen mit ihnen Lösungen in anspruchsvollen Lebenssituationen - das gilt übrigens auch für den Gesundheitsbereich. In den Organisationen im Sozial- und Gesundheitsbereich konzentriert sich der Führungsalltag auf der mittleren Managementebene auf diese Beziehungsgestaltung. Zu den Führungsaufgaben gehören damit Beratung, Coaching, Lösungsfindung, Supervision und Teilnahme. Planung, Steuerung, Strategie und Controlling stehen weniger im Zentrum. Natürlich gehört es auch im Sozial- oder Gesundheitsbereich dazu, Vorgaben einzuhalten und Ziele zu erreichen. Aber der anspruchsvollere Teil ist ein anderer: Führungskräfte werden persönlich gefordert, denn sie sind angehalten, sich ständig zu reflektieren und anzupassen. Resilienz, Achtsamkeit und Anpassungsfähigkeit sind also gefragt.
Gerade Stellen im mittleren Management sind schwierig zu besetzen. Was könnte die Attraktivität von solchen Führungspositionen im Sozialbereich steigern?
Die Antwort hat zwei Seiten. Als Bildungsfachfrau sind mir die richtige Weiterbildung, ein gutes Führungs-Coaching und Intervision wichtig. Als langjährige Führungsperson weiss ich: Auch eine klare Strategie, ein guter Handlungsrahmen, ein Spielraum für experimentelles Handeln, klare Zuständigkeiten und ein vertrauensvolles Umfeld gehören dazu.