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«Healthy Up High»: Gesund alt werden im Hochhaus
06.04.2023 Hochhaussiedlungen sind beliebte Wohnorte für ältere Menschen in Bern. Viele dieser Häuser sind renovationsbedürftig und entsprechen nicht mehr den heutigen Bedürfnissen. Ein interdisziplinäres Team der BFH hat untersucht, wie die Hochhäuser mit Blick auf ihre älteren Bewohner*innen revitalisiert werden können.
In der Nachkriegszeit führte die Hochkonjunktur in Bern und in der ganzen Schweiz zum Bau von Hochhaussiedlungen. Viele dieser Hochhäuser sind in die Jahre gekommen und benötigen eine Revitalisierung. Neben der Verbesserung der Nachhaltigkeit müssen die Siedlungen auch den heutigen Lebensbedürfnissen der Bewohner*innen angepasst werden. Einige von Ihnen sind – wie die Häuser selber – in die Jahre gekommen: Der Anteil pensionierter Personen in den verschiedenen Hochhaussiedlungen in Bern liegt zwischen 29 und 37 Prozent (Statistik Stadt Bern, 2018).
«Älteren Menschen haben spezifische Anforderungen an ihre Wohnsituation», sagt Tannys Helfer, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule. Will eine ältere Person beispielsweise selbständig einkaufen gehen, ist sie auf einen hindernisfreien Einkaufsweg angewiesen. Treppen, unzuverlässig funktionierende Lifte, rutschige Gehwege oder fehlende Sitzgelegenheiten können dies erschweren oder verunmöglichen. Dabei bedeutet das Einkaufen mehr als nur die persönliche Versorgung mit Lebensmitteln: «Der Einkaufsweg bietet soziale Interaktion und Bewegung», gibt Tannys Helfer zu bedenken, «und das sind wichtige Aspekte der Gesundheit – nicht nur im Alter.»
Wurde bei Neubau-Projekten bereits zu «Ageing in Place» geforscht, so ist das Wissen zur Integration der Bedürfnisse älterer Menschen bei bestehenden Hochhaussiedlungen gering. Genau dieses Themenfeld untersuchte ein interdisziplinäres Team von Forschenden der Berner Fachhochschule anhand zweier Hochhäuser in Bern. «Unser Ziel war es, die wichtigen soziostrukturellen Räume und Begegnungsorte in und um die Hochhäuser zu identifizieren», sagt Projektleiterin Tannys Helfer. Das sind zum Beispiel Waschküche, Treppenhaus oder Eingangsbereich innerhalb der Gebäude oder Lebensmittelgeschäfte, Gehwege, Cafés und medizinische Dienstleistungen in der Umgebung. Ein sekundärer Erhebungsaspekt galt der Perspektive anderer Bewohner*innengruppen und Stakeholdern. Damit sind Bauträger, Dienstleistende im Gesundheitsbereich und Fachpersonen aus Sozialplanung, Gemeinwesen und Altersarbeit gemeint. Die Forschenden aus den Bereichen Gesundheit, soziale Arbeit und Architektur untersuchten, wie Ernährung, Bewegung, soziale Teilhabe, bauliche Umwelt, sowie Ressourcen und Dienstleistungen in der Nähe miteinander zusammenhängen, welche Synergien vorhanden sind und wo niederschwellige, nachhaltige Optimierungsmöglichkeiten bestehen.
Als Datenquellen dienten teilnehmende Beobachtung, halbstrukturierte Interviews, informelle Gespräche sowie die Kartierung von Dienstleistungen und Einkaufsmöglicheiten in einem geographischen Informationssystem (GIS). In fünf Feldbesuchen von jeweils zwei bis drei Stunden wurden Beobachtungen schriftlich und fotografisch festgehalten. Insgesamt wurden 45 informelle Gespräche mit Erwachsenen unterschiedlicher Altersstufen durchgeführt. Dadurch konnten die Perspektiven der Bewohner*innen eingeholt und das Verständnis ihrer sozialen Interaktion erlangt werden. Bei acht Bewohnern und Bewohnerinnen führten die Forscher*innen Einzelinterviews durch. Dazu kamen Interviews mit Stakeholdern aus der Nachbarschaftshilfe, dem Quartierverein, der Kirche, der Baugenossenschaft, dem Kompetenzzentrum Alter und der Stadtverwaltung.
Erkenntnisse in Handlungsempfehlungen zusammengefasst
Auf der Basis ihrer Analyse haben die Forscher*innen Handlungsempfehlungen erarbeitet. Diese unterteilten sie in Innenräume, Aussenräume, Nachbarschaft sowie Ernährung und Bewegung. Tannys Helfer: «Die Handlungsempfehlungen sollen den Stakeholdern wie Bauträgerschaft oder Verwaltung helfen, das Hochhaus altersgerecht zu revitalisieren.» Die Empfehlungen richten sich aber nicht nur auf die beiden untersuchten Siedlungen, sie könnten auch für ähnliche Überbauungen in der Schweiz relevant.
Die Forschenden empfehlen konkrete, praxisnahe Optimierungen: Zum Beispiel die Aufwertung von niederschwelligen Begegnungsorten wie Eingangsbereich, unmittelbar vor den Eingängen oder Waschküche. Treppenhäuser können für ältere Menschen und alle anderen Altersgruppen zu einem Teil eines Trainingsparcours gestaltet werden und Sitzgelegenheiten im Aussenbereich erleichtern den Einkaufsweg. «Wir haben bereits sehr positive Rückmeldungen von Bauträgerschaften erhalten», sagt Tannys Helfer, «unsere Optimierungen sind niederschwellig und damit gut umsetzbar bei der Revitalisierung von Hochhaussiedlungen.»
«Age Friendly Cities»
Die Stadt Bern ist Mitglied der «Age Friendly Cities», einem Projekt der Weltgesundheitsorganisation für altersfreundlichen Städte. Sie setzt sich für die Konzepte «Caring Community» und «Ageing in place» ein. Dies tut sie, weil die Zahl der Personen über 65 Jahre bis ins Jahr 2050 überproportional ansteigen wird. Dadurch steigt auch der Wohnraumbedarf für diese Altersgruppe, worauf die Stadtentwicklung mit baulicher Verdichtung reagiert. Dieses Vorgehen erlaubt eine höhere Nutzungsdichte und fördert somit den haushälterischen Umgang mit der städtisch knappen Ressource Boden.
«Healthy up High»
Wie kann das Potenzial des Hochhäusern-Settings aktiviert und angepasst werden, damit Gesundheitsförderung in Hochhäusern und «ageing in place» ermöglicht wird? Ein interdisziplinäres Team aus den Departementen Architektur, Holz und Bau, Gesundheit sowie Soziale Arbeit hat Handlungsempfehlungen für die altersgerechte Revitalisierung von Hochhaussiedlungen entwickelt.
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Rubrik: Forschung