Rassismuskritik an der Hochschule − Empowerment für Studierende

21.03.2023 Was geschieht, wenn eine Hochschule sich aktiv für eine rassismuskritische Hochschullandschaft einsetzt und die Anliegen ihrer Studierenden of Color ernst nimmt? Das Departement Soziale Arbeit hat sich dieser Frage gestellt. Der Erfahrungsbericht zweier Bachelor-Studentinnen gibt Einblick in ein Teilprojekt, in dem ein Empowerment-Raum für Studierende of Color entstanden ist.

Ausgeschlossen, stigmatisiert und auf die nationale, kulturelle und bzw. oder auf die ethnische Herkunft reduziert zu werden, sind Erfahrungen, denen sich rassifizierte Menschen nirgends entziehen können. Dabei ist Rassismus nicht das Problem des oder der Einzelnen, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die tief in unserer Gesellschaft verankert sind. Die daraus resultierenden sozialen Ungleichheiten werden sichtbar, wenn mensch die unterschiedlichen Zugänge zu gesellschaftlichen Ressourcen wie Bildung betrachtet. So stellen sich auch in und für Schweizer Hochschulen Fragen: Wer erhält Zugang zu einer akademischen Laufbahn? Wer kann und darf an einer Hochschule lernen und unterrichten? Wie werden verschiedene Lebensrealitäten im Hochschulalltag wahrgenommen, gewürdigt und unterstützt?

Dass sich unsere Fachhochschule als primär weis­ser, mittelständischer Raum gestaltet, war für uns bereits kurze Zeit nach Studienbeginn spürbar. Es gab zwar schon einige Gruppierungen Studierender, die sich mit essenziellen Themen wie Feminismus und Klima-Aktivismus befassten. Jedoch schien uns, dass die Auseinandersetzung mit Rassismus, Migration und der Frage nach Herkunft keinen Raum findet. Dies spiegelte sich unter anderem in Fragen wider, mit denen wir Studierende of Color im Studienalltag konfrontiert wurden und werden. Wieso sprichst du denn so gut Deutsch? Von wo bist du wirklich? Darf ich deine Haare anfassen? Auch wird zum Teil in Modulen eine rassismuskritische Perspektive nicht mitgedacht. Dies kann zur Folge haben, dass Lebensrealitäten rassifizierter Personen nicht wahrgenommen und Rassifizierungen unter anderem durch stigmatisierende Fallbeispiele reproduziert werden. 

Studierende am Departement Soziale Arbeit
«Wir gelangten zur Ansicht, dass dieser Prozess nicht nur Studierende of Color betrifft», schreiben Gina Buonopane und Rahel Meteku in ihrem Erfahrungsbericht.

Der Raum entsteht

Rahel El-Maawi gab uns (rassismus-)kritische Denkanstösse und begleitete uns bei der Herausarbeitung und Konkretisierung eigener Visionen und Erwartungen. Dabei realisierten wir zunehmend, dass wir nicht nur in unserer Gruppe über unsere Erfahrungen mit Rassismus (an der BFH) diskutieren wollten, sondern auch mit anderen Studierenden. Zudem war uns der Aspekt der Nachhaltigkeit wichtig. Das heisst: Der Empowerment-Raum für rassifizierte Studierende sollte, wie unsere Studierendenorganisation Solibri, ein fester Bestandteil des Studiengangs Soziale Arbeit werden. Wir erkannten, dass es wenig sinnvoll ist, Studierenden an der BFH ein «fertiges Programm» anzubieten. Wir befürchteten, dass mit dem Ende des Coachingauftrages von Rahel El-Maawi das Empowerment-Gefäss an unserem Departement nicht weiter fortbestehen würde. 

Auch gelangten wir zunehmend zur Ansicht, dass dieser Prozess nicht bloss Studierende of Color betrifft, sondern sich alle Studierenden im Sinne des sozialarbeiterischen sowie gesellschaftlichen Auftrages engagieren müssten. Deshalb sollten alle Studierenden bei der Planung, Organisation und Umsetzung aktiv partizipieren können, um eine nachhaltige und rassismuskritische Auseinandersetzung und Reflexion anzutreiben. 

… und wird erweitert

Aufgrund dieser Überlegungen kreierten wir für das Frühlingssemester 2022 eine Veranstaltungsreihe für Studierende rund um das Thema rassismuskritische Soziale Arbeit. Gemeinsam mit Rahel El-Maawi gestalteten wir verschiedene zusätzliche Räume. 

Zur ersten Veranstaltung wurden alle Studierenden des Departements Soziale Arbeit eingeladen. Es war uns wichtig, die Veranstaltungsreihe mit einem grundsätzlichen Input zum Thema Rassismus und Soziale Arbeit von Rahel El-Maawi zu beginnen, damit wir auf einer gemeinsamen Wissensbasis aufbauen konnten. Darauf folgten die zwei Veranstaltungen «Wo gibt es Handlungsbedarf in Ausbildung und Praxis der Sozialen Arbeit?» und «Wie sprechen wir über eigene Rassismuserfahrungen?». Diese wurden ausschliesslich für rassifizierte Studierende angeboten, um in einem geschützten Rahmen eigene Erfahrungen austauschen zu können. 

Eine weitere Veranstaltung öffnete zwei separate Räume: Einen für rassifizierte Studierende, den die Teilnehmenden entsprechend ihren Bedürfnissen gestalten konnten, und einen zweiten für weisse Studierende, in dem Themen wie white Fragility, white Saviorism und Allyship besprochen wurden (vgl. Kasten, S. 12). 

Die letzte Veranstaltung zum Thema «Nachhaltig rassismuskritische Hochschule – wie weiter?» war wieder für alle Studierenden geöffnet, um gemeinsam zu diskutieren, wie wir als rassifizierte und nicht-rassifizierte Studierende eine rassismuskritische Haltung in den Studiengang einbringen wollen. Dementsprechend haben wir auch die Gruppierung RASA für alle Studierenden geöffnet. Alle Veranstaltungen regten spannende Diskussionen an und klangen auf persönlicher Ebene nach. 

Erkenntnisse

Während der Zusammenarbeit mit Rahel El-Maawi gewannen wir an Selbstvertrauen, sodass wir uns schliesslich trauten, die letzten Veranstaltungen ohne sie zu planen und durchzuführen. Dies stellte für uns einen enorm empowernden und wichtigen Prozess dar. Im Laufe des Reflexions-, Organisations- und Umsetzungsprozesses stellten wir fest, wie gross unser kollektiver Wissens- und Erfahrungsschatz zum Thema Rassismus ist – gewollt, aber auch ungewollt. Obwohl unsere Rassismuserfahrungen sowie unser theoretisches Wissen über Rassismus teils sehr unterschiedlich sind, vereint uns die Erfahrung, als BIPoC in der Schweiz zu leben und damit immer wieder von Aussen markiert oder in das rassistische Narrativ eingeschrieben zu werden. Unsere Rassismuserfahrungen in geschützten Räumen zur Sprache zu bringen und gegenseitig von unseren Erfahrungen und unserem Wissen lernen zu können, hat uns aus Ohnmachtssituationen befreit. 

Mit wachsendem Selbstvertrauen organisiert RASA auch nach der Veranstaltungsreihe Räume für den Wissens- und Erfahrungsaustausch sowie für eine rassismuskritische Reflexion – dies für rassifizierte und nicht-rassifizierte Studierende und Professionelle der Sozialen Arbeit. Gemeinsam mit der KRISO (Plattform für kritische Soziale Arbeit) führte RASA beispielsweise an der Tour Décolonial (Anm. d. Red.: Diese fand im Rahmen der Tour de Lorraine im Nordquartier der Stadt Bern statt) einen Postenlauf zum Thema «Rassifizierende Praxen in der Sozialen Arbeit» durch. 

Ausblick

Aktuell möchte RASA weitere Projekte umsetzen und organisiert weiterhin Räume für den Wissens- und Erfahrungsaustausch, um eine rassismuskritische Reflexion für Studierende und Professionelle der Sozialen Arbeit zu ermöglichen. Eines der aktuellen Projekte besteht darin, die Curriculumsrevision aus einer rassis­mus­kri­tischen Perspektive und damit die Soziale Arbeit in eine rassismuskritischere Richtung mitzuprägen.

Das Loslösen von Rahel El-Maawi als Coachingperson und damit die selbstermächtigte Arbeit und Umsetzung eigener Anliegen, Ideen und Wünsche, waren für uns sehr wichtig, damit unser Projekt «Empowerment-Raum» zum Fliegen kam. Rahel El-Maawi hat uns in diesem Emanzipationsprozess sehr bestärkt und unterstützt, um auch ohne sie weiterzugehen. 

Da antirassistische (Bildungs-)Arbeit nicht nur in der Verantwortung rassifizierter Menschen liegen darf, betrachten wir es als essenziell, diesen Prozess nun zusammen mit nicht-rassifizierten Studierenden weiter voranzutreiben. 

Autorinnen: 

Gina Buonopane, Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, Mitarbeiterin Bibliothek 
… hat den Bachelor in Sozialer Arbeit im Sommer 2022 abgeschlossen. Sie arbeitet als Sozialpädagogin und war Mitinitiatorin des Empowerment Raums. Sie ist Mitarbeiterin im Projekt Empowerment und Verlernen von Rassismus.

Rahel Meteku, Studentin
… im Bachelor Soziale Arbeit. Als Mitinitiatorin des Empowerment-Raums ist auch sie Teil des Projektteams. 


 
 

Dieser Artikel ist im Januar 2023 im Printmagazin «impuls» erschienen.

Definitionsübersicht

  • BiPoC steht für Black, Indigenous and People of Color. Es ist eine positiv besetzte, politische Selbstbezeichnung, die die gemeinsame Erfahrung beschreibt, in der weissen Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiss wahrgenommen zu werden. 
  • white Fragility steht für weisse Zerbrechlichkeit, als die Abwehrhaltung weisser Menschen, wenn sie mit eigenen Rassismen konfrontiert werden. 
  • white Saviorism (bzw. zu Deutsch: weisse Retter*in) ist unter anderem ein wiederkehrendes Narrativ in US-amerikanischen und europäischen Filmen, das den Eindruck erweckt, People of Color müssten «gerettet», resp. «befreit» werden, da sie die Fähigkeit dazu selbst nicht besässen.
  • Ally/Allyship (bzw. zu Deutsch: Verbündete*r/Verbündetenschaft) beschreibt den Prozess der aktiven Solidarität einer privilegierten Person mit Menschen aus einer gesellschaftlich unterdrückten Gruppe. 

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