Warum und wie die BFH Praxisprojekte fördert

11.10.2023 Anstelle eines «herkömmlichen» Praktikums ein zivilgesellschaft­liches Anliegen in Projektform bearbeiten?! Der Bachelor-Studiengang setzt in der Praxisausbildung verstärkt auf Projektarbeit. Dieser Beitrag zeigt, wie Studierende, die Fachhochschule, Praxisorganisationen und Zivilgesellschaft davon profitieren können, 
und präsentiert das dahinterliegende didaktische und strategische Konzept.

  • Prof. Dr. Judith Studer leitet das Forschungsprojekt «Implementation von Service Learning in der Hochschulausbildung» und ist Mitherausgeberin des Sammelbands «Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen. perspek­tivisch, nachhaltig, umgesetzt», das 2023 im hep-Verlag erschien.
Podium am Kaderanlass zum Thema Praxisprojekte
Simon Staudenmann (links) und Katarina Barnjak berichten am Kaderanlass über ihre Erfahrungen mit einem Praxisprojekt.

«Tune-in: Jugendliche der offenen Jugendarbeit und Fachpersonen im Gespräch über Drogen & Sucht» – so lautete das Projekt der Bachelor-Studentin Katarina Barnjak. Es steht hier stellvertretend für Praxisprojekte im Rahmen des Bachelor-Studiums. 

Mit grosser Freude und Überzeugung berichtete die Bachelor-Studentin anlässlich eines Kaderanlasses im März 2023 den anwesenden Vertreter*innen aus Praxis, Zivilgesellschaft und Hochschule von ihren Erfahrungen bei der Umsetzung ihres Praxisprojekts, das sie in Zusammenarbeit mit der Jugendarbeit Fislisbach durchgeführt hat. 

Angesichts des beobachteten erhöhten Drogenkonsums und des in einer Umfrage geäusserten Wunschs von Jugendlichen, mehr über Drogen und Sucht zu erfahren, brachte Katarina Barnjak im Rahmen ihres Projekts wiederholt Jugendliche und Fachpersonen miteinander ins Gespräch über Drogen, Suchtprävention, Suchtberatung, Schadensminderung sowie Kriminalprävention. Die Gespräche wurden unter der Mitarbeit der Jugendlichen gestreamt und so einem breiten Kreis zugänglich gemacht (vgl. weiterführende Links). Nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Studentin selbst konnte dabei viel lernen.

Begleitet wurde Katarina Barnjak bei der Umsetzung ihres Projekts einerseits von Seiten der Hochschule, andererseits von Simon Staudenmann, dem Stellenleiter der Jugendarbeit Fislisbach. Auch er äusserte sich anlässlich des erwähnten Kaderanlasses positiv zum Projekt, wobei er hervorhob, dass die Zusammenarbeit mit der Hochschule gewinnbringend und in der Projektumsetzung unterstützend war (vgl. Zitate weiter unten).

Studentische Projektarbeiten können nicht nur für die Studierenden und Projektpartner*innen einen Mehrwert darstellen, sondern auch die Hochschule selbst kann aus solchen Projekten viel mitnehmen. Entsprechend stand der Kaderanlass vom März 2023 unter dem Motto «Win-Win-Win: Praxisprojekte als Bindeglied zwischen Studierenden, Hochschule und Zivilgesellschaft». 

 

«Ich konnte durch das Projekt viel lernen. Zu den wichtigsten Punkten gehörte die vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen Sucht, Prävention und Drogen sowie mit medienpäda­gogischen Ansätzen. Persönlich am wertvollsten war, mit Jugendlichen zusammenzuarbeiten und dabei zu erfahren, wie sie mir vertrauten und sich auf das Projekt einliessen.»

Katarina Barnjak
Katarina Barnjak Studentin

Service Learning als Orientierungsrahmen für Praxisprojekte

Im direkten Zusammenhang mit dem dreifachen «Win» steht das Lehr-Lern-Konzept Service Learning, das künftig verstärkt den Orientierungsrahmen für die Praxisprojekte im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit (BFH) bildet. Nach dem Verständnis des Schweizer Netzwerks Service Learning an Hochschulen verknüpft Service Learning «als eine curricular verankerte Lehr- und Lernform zivilgesellschaftliches Engagement mit Lernen an Hochschulen. Es bedient sich dabei praxis- und projektorientierter Ansätze sowie sektorübergreifender Kooperationen mit gemeinnützigen ausserhochschulischen Partnerinnen und Partnern» (Becker, Kastner, Schank & Studer, 2023, S. 7).

Service-Learning-Projekte können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Charakteristisch für derartige Projekte ist jedoch die Ausgewogenheit zwischen Service (im Sinne eines zivilgesellschaftlichen Engagements) und Learning (im Sinne eines Kompetenzerwerbs): «Service-learning programs are distinguished from other approaches to experiential education by their intention to equally benefit the provider and the recipient of the service as well as to ensure equal focus on both the service being provided and the learning that is occurring» (Furco, 1996, S. 12; zit. nach Altenschmidt, 2023, S. 32 f.).

 

«Wir haben mehrfach profitiert: Erstens erleichterte uns der Umstand, dass das Projekt mit der BFH zusammen durchgeführt wurde, den Gewinn weiterer Fachpersonen für das Projekt. Zweitens hat uns die BFH bei der Konzipierung und theoretischen Herleitung tatkräftig unterstützt. Für die partizipative Umsetzung des Projekts war es drittens hilfreich, dass Frau Barnjak bereits die Praxisausbildung bei uns in der Institution absolviert hatte.»

Simon Staudenmann
Simon Staudenmann Leiter Jugendarbeit Fislisbach

Mehrwert Service Learning

Service Learning verortet sich in der Schnittmenge zwischen akademischem Lernen, Praxis-Erfahrung und gesellschaftlichem Engagement (s. Abbildung 1).

Es eröffnet Studierenden die Möglichkeit, in der Zusammenarbeit mit Projektgebenden und Projektbeteiligten aus der (Zivil-)Gesellschaft Selbstwirksamkeit zu erleben. Die Studierenden können dank solcher Projekte (akademisch erworbene) Kompetenzen anwenden, erproben und weiterentwickeln. Wichtige zukünftige Skills, wie unter anderem Kommunikations-, Kollaborations-, Problemlöse- und Projektmanagement-Kompetenzen, lassen sich durch Service-Learning-Projekte im realweltlichen Kontext austesten und vertiefen, auch lassen sich dadurch Perspektivenübernahme und Networking einüben. Service Learning steht für ganzheitliche Lernerfahrungen und fördert – zusammenfassend gesagt – bei Studierenden fachliches wie überfachliches Lernen sowie einen handlungsorientierten Kompetenzaufbau (vgl. u. a. Becker et al., 2023, S. 7; Miller, Rude & Stark, 2015, S. 5, 10 ff.; Freisleben-Teutscher, 2023). 

Auf Seiten der gesellschaftlichen Akteur*innen zeigt sich der Mehrwert von Service-Learning-Projekten darin, dass es eine Plattform gibt, um gemeinsam mit Studierenden Produkte mit positiver Wirkung für die Praxis zu entwickeln und gesellschaftliche Anliegen in die Lehre einzubringen. Darüber hinaus erhalten gesellschaftliche Akteur*innen Zugang zu fachlichen, sozialen und symbolischen Ressourcen und erleben nicht zuletzt die Hochschule als starke und glaubwürdige Partnerin, die ihnen auch Zugang zu Forschungswissen bieten kann (vgl. u. a. Fischer, Grimm, Ksinik, Wyss & Zysset, 2023, S. 101; Rameder, 2021, S. 88).

Schliesslich ist die Hochschule selbst Profiteurin von Service-Learning-Projekten (siehe auch Kasten). Projekte dieser Art ermöglichen der Hochschule institutionelles und soziales Lernen. «Ein offener, kontinuierlicher Dialog im Sinne von Service Learning kann neues Wissen generieren, institutionelle Veränderungen einleiten und die Hochschulen dabei unterstützen, relevante und aktuelle Fragestellungen aus der Praxis für die eigene Lehre und Forschung aufzugreifen und so deren gesellschaftliche Relevanz zu stärken» (Fischer et al., 2023, S. 100).

Hochschullehrende und Studierende, die in Service Learning involviert sind, können ihrerseits als Brückenbauer*innen zwischen Wissenschaft und Praxis oder Zivilgesellschaft dienen. Service Learning bietet den Hochschulen die Möglichkeit, den «Elfenbeinturm» zu verlassen, sich gegen «aussen» zu öffnen und ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen (vgl. Hofer & Derkau, 2020).

Nicht zuletzt wird Service Learning grosses Potenzial zugeschrieben, weil man sich davon verspricht, die zunehmend in den Hochschulstrategien verankerten Ziele der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) zu erreichen sowie nachhaltigkeitsrelevante Kompetenzen auf Hochschulebene zu fördern. Fischer et al. (2023) weisen in diesem Zusam­menhang darauf hin, dass die Entfaltung dieses Potenzials allerdings an Voraussetzungen gebunden ist, zu denen neben der fortlaufenden kritischen Reflexion des Projekts eine «gleichberechtigte Integration der Perspektiven von Studierenden, Dozierenden und Praxispartnerinnen und -partnern sowie eine konsequente Orientierung an Qualitätskriterien für Service Learning und den Zielen von BNE» (ebd., S. 91) zählen. 

Zur Bedeutung von Service Learning für die BFH

Die BFH fördert die Einführung und Umsetzung von Service Learning. Aktuell unterstützt sie das Forschungsprojekt «Implementation von Service Learning in der Hochschulausbildung» finanziell, das von Mitarbei­ter*­innen der Departemente Soziale Arbeit und Architektur, Holz und Bau durchgeführt wird. 

Manuel Fischer, Co-Leiter des Themenfelds Nachhaltige Entwicklung BFH, zur Bedeutung von Service Learning für die Hochschule:

«Um die Umgestaltung hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu schaffen, braucht es neue, zukunftsrelevante Kompetenzen, die weit über das Fachwissen in den relevanten Bereichen hinausgehen. Service-Learning-Projekte können einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Bei solchen Projekten lernen Studierende wichtige Dinge, die in klassischen Lehrveranstaltungen wie Vorlesungen nicht oder nur ungenügend vermittelt werden können. Zudem sind Studierende ein wichtiges Element des gesellschaftlichen Beitrags der Hochschulen: Durch die Verbindung der im Studium erworbenen Kompetenzen mit ihrem Engagement und Handeln erzielen die Studierenden gesellschaftliche Wirkung. Der Bachelor Soziale Arbeit leistet mit seinen Service-Learning-Projekten für die BFH wichtige Pionierarbeit, wovon der Rest der BFH profitieren kann.»

Manuel Fischer, Co-Leiter des Themenfelds Nachhaltige Entwicklung BFH
Manuel Fischer, Co-Leiter des Themenfelds Nachhaltige Entwicklung BFH
Von Service Learning profitieren Studierende, die Praxis und die Hochschule.
Service Learning (Fischer, 2023, Folie): Von Service Learning profitieren Studierende, die Praxis und die Hochschule.

Praxisprojekte in der zweistufigen Ausbildung in Sozialer Arbeit 

Seit 2016 besuchen Master-Studierende in Sozialer Arbeit das Pflichtmodul «Projektatelier» und bearbeiten ein Projekt im Auftrag einer Praxisorganisation. Auch im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit haben die Studierenden seit ein paar Jahren die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Praxisausbildung Praxisprojekte umzusetzen. 

Ab dem Herbstsemester 2023/24 werden die Praxisprojekte im Bachelor Soziale Arbeit verstärkt an den Qualitätsstandards von Service Learning ausgerichtet (vgl. weiterführende Links, S. 31). Die Praxisprojekte sind Teil des Modulbereichs «Arbeiten mit und in der Praxis». Die Studierenden entscheiden selbst, ob sie in der zweiten Studienphase ihre Praxisausbildung vollständig in Praxisorganisationen der Sozialen Arbeit oder zur Hälfte in einer Praxisorganisation und zur anderen Hälfte als Praxisprojekt absolvieren wollen. Praxisprojekte im Bachelor-Studiengang richten sich an einen zivilgesellschaftlichen Bedarf und werden in Zusammenarbeit mit Projektpartner*innen aus dem Praxisfeld Soziale Arbeit oder der Zivilgesellschaft durchgeführt.

Projekt­partner*innen können Einzelpersonen, Vereine, Netzwerke, soziale Bewegungen oder Fachorganisationen sein. Die Projekte können sowohl von den Projekt­part­ner*innen als auch von den Studierenden eingebracht werden. Ziel eines Praxisprojekts im Bachelor Soziale Arbeit ist es, gemeinsam unter Anwendung integrativer, partizipativer und innovativer Formen der Projektplanung, -umsetzung und -evaluation ein gesellschaftliches Anliegen inner- oder ausserhalb der Sozialen Arbeit zu bearbeiten. 

Zur Vorbereitung auf die Praxisprojekte absolvieren die Studierenden das Modul «Projektmanagement», in dessen Rahmen sie die Kompetenzen zur Umsetzung eines Projekts erwerben. Während des Projekts werden die Studierenden seitens der Hochschule gecoacht und erhalten Raum, um den Projektverlauf kritisch zu reflektieren. Zusätzlich können sie sich mittels digitaler Lernpakete weitere projektbezogene Kompetenzen (u.a. in rechtlichen Belangen oder in den Bereichen Marketing, Fundraising etc.) aneignen.

Katarina Barnjak und Simon Staudenmann gaben uns anlässlich des Kaderanlasses vom März 2023 Einblick in ihr Praxisprojekt und teilten ihre Begeisterung mit uns. Ihr Projekt steht auch für andere Projekte, in denen gemeinsam etwas bewirkt und mit Gewinn für alle ein gesellschaftliches Anliegen aufgegriffen und bearbeitet werden konnte. Mögen noch viele weitere folgen.

Literatur

  • Altenschmidt, Karsten. (2023). Die Idee von Lernen und Engagement. Theoretische und empirische Differenz(ierung)en im Service Learning. In Ingrid Becker, Franziska Kastner, Christoph Schank & Judith Studer (Hrsg.), Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen. perspektivisch, nachhaltig, umgesetzt 
(S. 31–54). Bern: hep.
  • Becker, Ingrid, Kastner, Franziska, Schank, Christoph & Studer, Judith. (2023). Einleitende Worte. In Ingrid Becker, Franziska Kastner, Christoph Schank & Judith Studer (Hrsg.), Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen. perspektivisch, nachhaltig, umgesetzt (S. 7–11). Bern: hep. 
  • Fischer, Manuel. (2023). Praxisprojekte als Bindeglied zwischen Hochschule, Studierenden und Praxis – eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten!? Foliensatz für das Kaderforum vom 9.3.23 (Folie 4–19).
  • Fischer, Manuel, Grimm, Amina, Ksinsik, Jule, Wyss, Katja & Zysset, Simon. (2023). Critical Service Learning im Kontext von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) unter Integration der drei Perspektiven Studierende, Hochschule und Praxispartnerinnen und -partner. In Ingrid Becker, Franziska Kastner, Christoph Schank & Judith Studer (Hrsg.), Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen. perspektivisch, nachhaltig, umgesetzt 
(S. 91–118). Bern: hep.  
  • Freisleben-Teutscher, Christian. (2023). Angewandte Improvisation als inspirierendes Mindset sowie Erweiterung didaktischer Handlungsoptionen im Service Learning. In Ingrid Becker, Franziska Kastner, Christoph Schank & Judith Studer (Hrsg.), Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen. perspektivisch, nachhaltig, umgesetzt (S. 249–262). Bern: hep.
  • Hofer, Manfred & Derkau, Julia. (Hrsg.) (2020). Campus und Gesellschaft. Service Learning an deutschen Hochschulen. Positionen und Perspektiven. Weinheim: Beltz.
  • Miller, Jörg, Ruda, Nadine & Stark, Wolfgang. (2015). Implementierung von Service Learning in Hochschulen. Schriftenreihe Bildung durch Verantwortung.
  • Rameder, Paul. (2021). Service Learning – Ein sozialer, ökonomischer und kultureller Mehrwert für Non-Profit-Organisationen und Zivilgesellschaft. In Gabriele Bartsch & Leonore Grottker (Hrsg.), Service Learning mit Studierenden. Ein kurzer Handlungsleitfaden (S. 87–88). Weinheim: Beltz Juventa.

Dieser Artikel ist im September 2023 im Printmagazin «impuls» erschienen.

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Fachgebiet: Praxisausbildung, Soziale Arbeit
Rubrik: Studium