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«EFAS allein ist keine Wunderpille»
04.10.2024 Am 24. November 2024 stimmen wir über die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) ab. Dieses hat das Ziel, ambulante und stationäre Leistungen einheitlich zu finanzieren und damit ambulante Behandlungen zugänglicher zu machen. Doch steigen dafür die Krankenkassenprämien? Gesundheitsökonom Tobias Müller erklärt die Zusammenhänge.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 24. November 2024 stimmen wir über die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) ab.
- Die Revision soll eine einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen ermöglichen und damit Fehlanreize verhindern.
- Übergeordnetes Ziel ist die Verlagerung von teuren stationären hin zu kostengünstigeren ambulanten Leistungen.
- Prämienerhöhungen sind möglich. Doch die genauen Auswirkungen sind schwer einzuschätzen.
Tobias Müller, um was geht es bei EFAS genau?
EFAS steht für eine einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen im Bereich der Akutversorgung. Die Vorlage sieht vor, dass sich Kantone und Krankenkassen zu gleichen Anteilen an der Finanzierung der ambulanten und stationären Leistungen beteiligen. Dabei steht die Verlagerung von stationärer zu ambulanter Behandlung und damit eine Stabilisierung der Gesundheitskosten als übergeordnetes Ziel im Vordergrund. Es ist aber wichtig zu beachten, dass es bei EFAS nur um die Verteilung der Kosten zwischen Kantonen und Krankenkassen geht, nicht um die Höhe der Kosten.
Wie funktioniert die Finanzierung denn jetzt?
Heute werden ambulante und stationäre Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) unterschiedlich finanziert. Stationäre Leistungen sind in der Regel deutlich teurer, werden aber zu 55 Prozent von den Kantonen übernommen und nur zu 45 Prozent durch die Krankenkassen. Ambulante Behandlungen müssen hingegen zu 100 Prozent durch die Krankenkassen und damit durch die Prämienzahler finanziert werden. Oder anders gesagt: Die Rechnung des letzten Spitalbesuchs wird heute zu mehr als der Hälfte vom Wohnkanton bezahlt. Die Rechnung der letzten Konsultation bei der Hausärztin hingegen bezahlt die Krankenkasse vollumfänglich.
Was soll sich mit der Reform ändern?
Neu soll der Anteil der Krankenkassen und Kantone bei ambulanten, stationären und Pflegekosten derselbe sein. Die Kassen sollen maximal 73.1% aller Kosten tragen. Die Kantone mindestens 26.9%. Das heisst: Die Kantone würden neu auch einen Anteil der Kosten aus ambulanten Behandlungen mittragen.
Warum ist eine einheitliche Finanzierung wichtig?
Krankenkassen haben im heutigen System einen finanziellen Anreiz, dass möglichst viele Patient*innen stationär behandelt werden, weil sie dann die Rechnung nicht komplett selbst berappen müssen (nur 45%). Dies kann zu einer Überversorgung im stationären Bereich führen, obschon dieselben Behandlungen ambulant zu tieferen Kosten erbracht werden könnten. Mit einer einheitlichen Finanzierung – so die Befürworter – fallen diese Fehlanreize weg.
Aus meiner Sicht wird der Einfluss der Krankenkassen auf den Behandlungsort überschätzt. Die Entscheidung, ob eine Behandlung ambulant oder stationär erfolgt, liegt primär bei den Ärzt*innen. Krankenkassen haben hier nur begrenzt Einfluss, da sie lediglich nach erfolgter Behandlung über die Rechnungs- und Leistungskontrolle eingreifen können, etwa indem sie Abrechnungen auf ihre Korrektheit überprüfen oder auffällige Häufungen von Leistungen bei einzelnen Leistungserbringern erkennen. Allerdings sind den Kassen in der Schweiz die Hände gebunden, da Abrechnungsdaten keine Diagnosen enthalten
Gegner*innen der Revision befürchten höhere Krankenkassenprämien. Was ist Ihre Einschätzung?
EFAS könnte tatsächlich Druck auf Prämien ausüben, da Kassen neu einen höheren Anteil der stationären Kosten tragen. Gleichzeitig dürfte der grössere Kantonsbeitrag an den ambulanten Behandlungskosten das Prämienwachstum dämpfen. Welcher Effekt überwiegt ist schwierig vorherzusagen.
EFAS kann zwar die Ambulantisierung begünstigen, aber es ist wahrscheinlich, dass Spitäler auf Einnahmenrückgänge reagieren werden. Ohne tiefgreifenden Reformen, wie z.B. die Abkehr von mengenbasierten Vergütungssystemen (Stichwort: TARMED/TARDOC), wird das Kostenwachstum im Gesundheitswesen nur schwer zu bremsen sein. EFAS allein ist also keine Wunderpille, die plötzlich unser Gesundheitswesen auf Vordermann bringt. Aber es könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Interview: Sandro Nydegger