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Projektstart: Mit einem Roboterarm zu mehr Unabhängigkeit
22.06.2023
Am 1. Juni fiel der Startschuss für das Forschungsprojekt «Entwicklung eines Roboterarms mit und für Menschen mit einer Tetraplegie». Neben Forschenden und Studierenden der Departemente Gesundheit und Technik & Informatik wirken auch Betroffene mit.
Die 62-jährige Gabriela Pozzi ist seit einem Velounfall 2009 Tetraplegikerin. Einfache Tätigkeiten, die wenig Kraft benötigen, kann sie dank mehreren Operationen selbst ausführen. Nun beteiligt sie sich an einem Forschungsprojekt der BFH, das zum Ziel hat, einen Roboterarm für Menschen mit einer Tetraplegie zu entwickeln. Diese Assistenztechnologie unterstützt Betroffene dabei, alltagsrelevante Tätigkeiten auszuführen. «Als Physiotherapeutin habe ich viele Jahre mit Menschen mit einer Tetraplegie gearbeitet. Die Betroffenenzahl ist hoch: Im Jahr 2022 wurden im Schweizer Paraplegiker-Zentrum etwa 500 Tetraplegiker*innen behandelt», sagt Projektleiterin Anja Raab. Je nach Läsionshöhe der Rückenmarksverletzung unterstützt der Roboterarm Bewegungen – oder er übernimmt sie komplett. Mit dieser innovativen Lösung will das Forschungsteam die Selbständigkeit und die Lebensqualität von Personen mit einer Tetraplegie nachhaltig verbessern.
Wasser trinken und Türen öffnen
Dass der Roboterarm eine Alltagserleichterung sein kann, zeigt sich an den Tätigkeiten, die mit seiner Hilfe ausgeführt werden könnten. So kann er Betroffenen beispielsweise ermöglichen, Gegenstände vom Boden aufzuheben oder aus dem Regal zu holen, nach dem Trinkbecher zu greifen, sich zu kratzen, die Zähne zu putzen oder eine Türe zu öffnen. Tätigkeiten, bei denen die Abhängigkeit von einer Hilfsperson besonders einschränkend sein kann.
«Die neue Cybathlon-Disziplin ‹Assistenzroboter-Rennen› war der Auslöser für das Projekt», berichtet Raphael Rätz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement Technik & Informatik. Bei Cybathlon handelt es sich um ein Non-Profit-Projekt der ETH, an dem Teams von Hochschulen, Firmen und NGOs teilnehmen. Es geht aber nicht nur darum, Technologien für die jährlich stattfindenden Cybathlon Challenges zu entwickeln. «Es entstehen Produkte für die Gesellschaft. Die Forschenden nutzen Gesundheitstechnologie, um einen Mehrwert für die Betroffenen zu generieren», erklärt Patric Eichelberger, Forscher des Fachbereichs Physiotherapie. «Wichtig ist dabei das User Centered Development Design, also das Miteinbeziehen von Expert*innen aus Erfahrung», sagt Projektmitarbeiterin Nicole Lutz. Die Forscher*innen sind mit den Tetraplegiker*innen im Dialog, um deren Erfahrungen, Inputs und Lösungsansätze zu erfassen und zu integrieren. Auch Bachelorarbeiten aus dem BSc Physiotherapie sind Teil dieses Prozesses. Die von Alexandra Bellwald, Nicole Lutz und Patric Eichelberger betreuten Arbeiten erfassen gezielt die Bedürfnisse von Betroffenen und Angehörigen, um Erkenntnisse für eine Anpassung des Roboterarms zu gewinnen.
Zwei Departemente – ein Ziel
Das von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung finanzierte Projekt ist nur durch die enge Zusammenarbeit von Ingenieur*innen, Physiotherapeut*innen sowie betroffenen Personen umsetzbar. Gabriel Gruener, Forscher am Departement Technik & Informatik TI, sagt zur Zusammenarbeit mit dem Departement Gesundheit: «Wir lernen verschiedene Denkweisen kennen. Wir vom TI sind oft zu technisch orientiert. Die gesundheitsbezogenen Aspekte sind aber genauso wichtig. Das Projektziel ist sehr menschlich. Wir wollen Geräte entwickeln, die Menschen so gut wie möglich helfen».
Die beiden Departemente teilen die Forschungsarbeit auf, sind jedoch stets in engem Austausch. Das Departement Technik & Informatik entwickelt den Assistenzroboter. Der Schwerpunkt des Departements Gesundheit liegt bei der Bedürfnisanalyse von Betroffenen und der Evaluation im klinischen Setting. Gemeinsam testen sie das System regelmässig mit Betroffenen und nehmen an den Cybathlon-Wettkämpfen teil. Der Forschungsprozess geschieht iterativ: «Es kann erforderlich sein, gewisse Entwicklungsschritte zu wiederholen, um sich der Lösung anzunähern», erklärt Anja Raab.
Dank der BFH-Praxismodule sind auch Studierende Teil des Forschungsteams. Vera Fosbrooke, Master-Studentin Physiotherapie und Projektmitarbeiterin schätzt es sehr, zu erleben, «wie viele engagierte Menschen hinter so einem Projekt stehen und wie das Projekt wächst».
Teamwork: im Wettkampf und im Projekt
Das interdisziplinäre Forschungsteam ist gleichzeitig ein Wettkampfteam. An den diesjährigen Cybathlon Challenges nahm es als Team BFH-FAIR am Assistenzroboter-Rennen teil. Das Team, bestehend aus Forschenden und Studierenden der beiden Departemente sowie der Pilotin Gabriela Pozzi, belegte den 2. Platz. An der Cybathlon Challenge musste Gabriela Pozzi zwei Aufgaben bewältigen: Einen Apfel greifen, diesen zum Mund führen und wieder ablegen sowie verschiedene Gegenstände umräumen. Ein Assistenzroboter bietet ihr und vielen anderen Menschen die Möglichkeit, ihre Unabhängigkeit zu erhöhen.