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Gibt die Schweiz ihre Gelder nachhaltig aus?

24.01.2025 Ein neues nationales Projekt untersucht, ob die Schweiz ihre öffentlichen Gelder nachhaltig ausgibt und welche Auswirkungen das auf die Wirtschaft hat. Judith Binder erzählt, woran das Projektteam in den letzten Monaten gearbeitet hat.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Projekt «Messbarkeit von Nachhaltigkeit im öffentlichen Beschaffungswesen durch KI» ist ein interdisziplinäres, nationales Forschungsprojekt, finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF).
  • Das Projekt untersucht mit künstlicher Intelligenz, ob die Schweiz ihre öffentlichen Gelder nachhaltig ausgibt und welche Auswirkungen dies auf die Wirtschaft hat.
  • Judith Binder ist Nachhaltigkeitsexpertin und Projektkoordinatorin. Sie erzählt im Interview, woran das interdisziplinäre Team in den letzten Monaten gearbeitet hat.

Bund, Kantone und Gemeinden geben jährlich rund CHF 41 Milliarden öffentliche Gelder aus. Das neue Projekt «Messbarkeit von Nachhaltigkeit im öffentlichen Beschaffungswesen durch KI» untersucht, ob mit diesen Geldern die Nachhaltigkeit gefördert und somit den kommenden Generationen Rechnung getragen wird.

Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert und läuft unter dem Sinergia-Programm des SNF. Dieses Programm fördert gemeinsame Projekte von zwei bis vier Forschungsgruppen, die interdisziplinär und mit Aussicht auf bahnbrechende Erkenntnisse forschen. Das Projektteam setzt sich aus Forscherinnen und Forscher zusammen, die in den Gebieten Wirtschafts- und Nachhaltigkeitswissenschaft, Informatik, Computerlinguistik sowie Rechts- und Verwaltungswissenschaft tätig sind.

Eine von ihnen ist Judith Binder. Sie ist Nachhaltigkeitsexpertin und Projektkoordinatorin am Institut Sustainable Business der BFH-Wirtschaft und ist sowohl in der Forschung wie auch in der Lehre tätig.

Judith Binder
Nachhaltigkeitsexpertin und Projektkoordinatorin Judith Binder

Judith, bevor wir mit dem Interview loslegen eine grundsätzliche Frage: Was bedeutet Nachhaltigkeit im Kontext eures Projekts?

Die Fragen, die wir uns hier stellen, sind: Gibt der Staat die öffentlichen Gelder so aus, dass kommende Generationen ebenfalls ihre Bedürfnisse stillen können? Oder treiben wir langfristig Raubbau, weil wir (zu) kurzsichtig und nicht-nachhaltig handeln?

Nachhaltigkeit bedeutet, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt werden, ohne dabei die Möglichkeiten künftiger Generationen zu beinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu stillen. Sobald das der Fall ist, können wir von Nachhaltigkeit sprechen.

Die Nachhaltigkeit bezieht sich ausserdem auf drei Dimensionen: die ökologische (Umwelt), die wirtschaftliche und die soziale Dimension (Gesellschaft).

Genau diese drei Dimensionen von Nachhaltigkeit vereint ihr alle in eurem Projekt, zu dem am 1. April 2024 der Startschuss fiel. Um was geht es dabei genau?

Unser Projekt untersucht mittels künstlicher Intelligenz, ob die Schweiz ihre öffentlichen Gelder nachhaltig ausgibt und welche Auswirkungen diese öffentlichen Aufträge auf die Unternehmen in Bezug auf die Nachhaltigkeit haben.

Bei der Umsetzung sind verschiedene Akteure involviert. Dazu gehören die Berner Fachhochschule (BFH), die Universität Zürich und die Universität Bern. Aus der Praxis dürfen wir auf ein Advisory Board mit Expertinnen und Experten von Bund, Kanton, Stadt und Wirtschaft zählen.

Was soll mit diesem Projekt erreicht werden?

Am 1. Januar 2021 ist das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen in Kraft getreten. Das neue Gesetz verlangt von allen Beschaffungsbehörden, das Nachhaltigkeitsprinzip umzusetzen. Das war vor der Revision nicht der Fall und ist eine grosse Chance!

Mit unserem Projekt sollen nun das erste Mal Aussagen zur Nachhaltigkeit von Beschaffungen in der Schweiz gemacht werden. Zurzeit wissen wir darüber zu wenig, was politische Entscheide erschwert.

Wir möchten wissenschaftliche Erkenntnisse schaffen, um politische Entscheide zu erleichtern. Schliesslich geht es um die Zukunft kommender Generationen. Wir als Schweiz haben eine (Mit-)Verantwortung und mit jährlich CHF 41 Milliarden einen grossen Hebel.

Die aktuellen Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit brauchen Kompetenzen aus verschiedenen Disziplinen, damit sie gelöst werden können.

Judith Binder
Judith Binder Nachhaltigkeitsexpertin und Projektkoordinatorin

Woran habt ihr in den letzten Monaten gearbeitet?

Das mehrjährige Projekt ist in drei Studien gegliedert, in denen 12 Fachpersonen aus unterschiedlichen Disziplinen und mit unterschiedlichen Forschungsansätzen mitarbeiten. Denn die aktuellen Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit brauchen Kompetenzen aus verschiedenen Disziplinen, damit sie gelöst werden können. Das setzen wir in unserem Projekt um. Wenn es gelingt, wird es ein echter interdisziplinärer Team-Effort sein.

Inzwischen haben alle Mitarbeiter*innen ihre Stellen angetreten und sind sich am Einarbeiten. Wir haben mit der Waren- und Dienstleistungsgruppe «Ernährung» als Testlauf begonnen.

Was heisst das genau?

Wir analysieren Ausschreibungen mithilfe des Natural Language Processing (NLP) auf Nachhaltigkeitskriterien. Ziel ist, den Einfluss der Beschaffungsrechts-Revision zu messen. Es geht also darum, wie Large Language Modelle (LLMs) verwendet werden können, um die riesigen Datenmengen im öffentlichen Beschaffungswesen auf ihre Nachhaltigkeit zu prüfen. Diese Resultate nutzen wir anschliessend, um juristisch und ökonomische Fragestellungen zu beantworten. Wir versuchen unter anderem zu verstehen, wie die Nachhaltigkeit von Unternehmen und Regionen durch die Vergabe von öffentlichen Geldern beeinflusst wird.

Zum Projekt

Symbolbild

Messbarkeit von Nachhaltigkeit im öffentlichen Beschaffungswesen durch KI

Dieses SNF Sinergia-Forschungsprojekt misst die Nachhaltigkeit bei öffentlichen Ausschreibungen mittels künstlicher Intelligenz und untersucht die Auswirkungen des neuen Beschaffungsgesetzes auf die Wirtschaft in Bezug auf Kreislaufwirtschaft.

Wie sehen eure nächsten Schritte aus?

Am 25. März 2025 führen wir einen öffentlichen Outreach Workshop in Bern durch. Wer an der Thematik interessiert ist, ist herzlich willkommen – denn schliesslich geht es um unsere Steuergelder und die Zukunft kommender Generationen.

Und wenn du noch etwas weiter in die Zukunft schaust?

Die öffentlichen Gelder werden eine zentrale Rolle bei der Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft in der Schweiz spielen. Dies liegt einerseits am grossen Volumen der öffentlichen Beschaffung und andererseits nimmt der öffentliche Sektor auch eine Vorbildfunktion ein. Wird es gelingen? Das ist die spannende Frage, mit der wir uns in den nächsten Jahren im Rahmen dieses Projekts befassen werden.

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