Drei BFH-Teams engagieren sich am Cybathlon

12.09.2024 Eine fühlende Prothese, ein Liegedreirad und ein Assistenzroboterarm: Am Cybathlon nehmen in diesem Jahr gleich drei Teams der BFH teil. Den Forschenden des Institute for Human Centered Engineering und den Studierenden des Studiengangs Mechatronik und Systemtechnik (Medizintechnik | Robotik) geht es hauptsächlich darum, den Alltag der Menschen mit einer körperlichen Behinderung zu verbessern.

Text: Denise Fricker

Vom 25. bis 27. Oktober 2024 findet in Kloten zum dritten Mal der Cybathlon statt. An diesem Wettbewerb der ETH Zürich treten internationale Teams aus Akademie und Industrie in acht verschiedenen Disziplinen gegeneinander an. Menschen mit körperlichen Behinderungen absolvieren alltagsrelevante Aufgaben und werden von technischen Assistenzsystemen unterstützt.

Geschirrspüler ausräumen und Schal aufhängen

«Die Ausschreibung des Cybathlon motivierte uns, ein System mit einem Roboterarm zu entwickeln, das Tetraplegiker*innen im Alltag unterstützt», sagt Gabriel Gruener, Dozent und Forscher an der BFH-TI. Sein interdisziplinäres Team «BFH-FAIR» mit Forschenden und Studierenden der Departemente Technik und Informatik sowie Gesundheit tritt zum ersten Mal in der neu geschaffenen Disziplin Assistenzroboter-Rennen an. Im Wettkampf im Oktober müssen die Teilnehmenden unter anderem einen Geschirrspüler ausräumen, eine Flasche vom Boden aufheben und einen Schal an einer Wäscheleine aufhängen. Für die Entwicklung der Assistenz-Technologie sind die Forschenden auf die Erfahrungen von Physiotherapeut*innen und von Betroffenen wie der Pilotin Gabriela Pozzi und dem Piloten Fritz Eichholzer angewiesen. Beide sind seit einem Velounfall querschnittgelähmt. «Für uns ist es wichtig zu wissen, wie sie solche Aufgaben mit dem Roboter lösen würden», sagt Gruener.

An den Cybathlon Challenges im Februar testete das Projektteam das Assistenzroboter-System im Wettkampfmodus und übte an vier der insgesamt zehn Aufgaben. Bis im Oktober gilt es nun das System weiterzuentwickeln, damit die Pilotin und der Pilot weitere Aufgaben lösen können. Die Weiterentwicklung sei das eine, sagt Gruener. «Gabi und Fritz üben auch, wie genau sie mit ihrem Rollstuhl zu einem Objekt hinfahren müssen, um es mit dem Roboterarm fassen zu können.» Dafür trainiert das Team in einem 50 Meter langen Raum im Swiss Center für Design and Health in Nidau. «Der Wettkampf ist für uns ein wichtiges Schaufenster und sorgt international für Beachtung», sagt Gruener. Das Hauptziel der Entwicklung, die von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung finanziert wird, liegt jedoch bei deren Gebrauch im Alltag. Das Team will ein preiswertes Gerät entwickeln, das Menschen im Rollstuhl so gut wie möglich hilft.

Gegenstände ertasten

Auch das Team um Gerhard Kuert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institute for Human Centered Engineering HuCe der BFH-TI, bereitet sich derzeit auf den Wettkampf vor. In der Disziplin Armprothesen-Rennen müssen die Teilnehmenden unter anderem eine Bratpfanne vom Herd auf einen Tisch tragen. In den Räumen der Firma Posalux im Bözingenfeld hat das Team genügend Platz, um den Parcours einzurichten und die Aufgaben zu üben. «Eine grosse Herausforderung liegt darin, dass die Prothese schwere Gegenstände heben muss und gleichzeitig auch feinmotorische Geschicklichkeit gefragt ist», sagt Kuert. So muss der Pilot etwa auch eine Drahtschleife halten und diese an einem gebogenen Metalldraht entlangführen.

«Unsere grosse Stärke liegt vor allem bei der Tastsinnaufgabe», sagt der Forscher. Seit 2017 entwickelt die BFH-TI eine fühlende Prothese, die den Tastsinn teilweise wiederherstellt – mit Fingerspitzen, die die Form eines Gegenstandes spüren können. Dafür sind mehrere Sensoren an den Fingern montiert, die elektrische Signale an den Unterarm übermitteln. Im Oktober muss der Pilot bei der Tastsinnaufgabe unterschiedliche Formen und deren Haptik erkennen. «Erfolgsfaktor Nummer eins ist die Zuverlässigkeit der Technologie», sagt Kuert. Er hat schon vor vier Jahren am Cybathlon teilgenommen. Der damalige Pilot Beat Grossen fällt dieses Jahr wegen einer Operation am Hüftgelenk aus. Das warf das Team in den Vorbereitungen zurück. Mit einem neuen Piloten und einer von den BFH-Student*innen in Zusammenarbeit mit dem Orthopäden Ortho Botta aus Biel neu entwickelten Prothese geht es an den Start. Das Ziel des Teams: «Mitmachen ist alles. Und vor allem wollen wir unsere Rückmelde-Technologie demonstrieren.»

Tägliches Training

Das tönt beim Team CybaTrike etwas anders: «Wir streben die Goldmedaille an», erklärt Efe Anil Aksöz, wissenschaftlicher Mitarbeiter, der gemeinsam mit Professor Kenneth Hunt (beide von der BFH-TI) das Team leitet. In der Disziplin Fahrradrennen mit elektrischer Muskelstimulation (Functional Electrical Stimulation, FES) ist es bereits zum dritten Mal dabei. 2016 belegte es den 3. Rang und 2020 den 4. Rang. Seitdem wurden verschiedene Verbesserungen an der FES-Technologie vorgenommen. «Wir setzen dieses Jahr einen neuen Stimulator ein, der genauere Stromimpulse zu den Muskeln des Piloten schickt und deren Leistung erhöht», führt Aksöz aus.

Pilot Julien Jouffroy ist seit zwölf Jahren querschnittgelähmt. Er gehörte dem BFH-CybaTrike bereits 2016 an. Um das Liegedreirad anzutreiben, werden auf seiner Haut Elektroden angebracht, die Stromimpulse zur gelähmten Beinmuskulatur leiten. «Nebst der Technologie ist der Pilot der wichtigste Erfolgsfaktor», sagt Efe Anil Aksöz. Deshalb habe das Team ein stationäres Therapievelo weiterentwickelt, mit dem Jouffroy an seinem Heimatort in Lyon trainiere. «Das tägliche Training ist für den Aufbau von Juliens Muskulatur enorm wichtig.» Die Forschenden und der Pilot treffen sich einmal im Monat, entweder in Lyon oder in Biel. Dann legen sie gemeinsam die gesamte Cybathlon-Strecke über zwei Kilometer zurück. «Eine grosse Herausforderung ist die Muskelermüdung», sagt Aksöz. Der Pilot müsse die Stimulation der Muskulatur so dosieren, dass sie nicht zu schnell ermüde. Um das zu überwachen, setzen die Forschenden am Cybathlon eine neue Mobile-Applikation ein. So sieht Jouffroy während des Rennens genau, wie viel Kraft er einsetzt. Für die Zukunft möchten die Forschenden ein Bike mitentwickeln, das bedienungsfreundlich und kostengünstig ist und über ein Stimulationsverfahren verfügt, das mehrere Stunden Radfahren möglich macht.

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