Opera mediatrix
Das vorliegende Projekt befasst sich mit der Bedeutung des avancierten Musiktheaters für die (De-)Konstruktion gemeinschaftsstiftender Mythen in der Schweiz seit 1945.
Steckbrief
- Beteiligte Departemente Hochschule der Künste Bern
- Institut(e) Institut Interpretation
- Forschungseinheit(en) Schnittstellen der zeitgenössischen Musik
- Förderorganisation SNF
- Laufzeit (geplant) 01.02.2020 - 31.01.2024
- Projektleitung Dr. Andreas Leopold Dick
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Projektmitarbeitende
Noémie Anaïs Virginie Favennec
Katelyn Rose King
Ausgangslage
Ausgangspunkt des Projekts ist die These, dass das unscharfe Kulturprofil der Schweiz, anders als in allen Nachbarländern, zwischen einer «Kultur der Vielfalt» und einer «Vielfalt der Kulturen» die Entstehung einer eigenen, identitätsstiftenden Operntradition verhindert hat. Auf dem Gebiet des Musiktheaters spiegelt sich stattdessen die Zerrissenheit der Willensnation zwischen Einheitsstreben und antizentralistischen Reflexen: Einerseits lässt sich dies in der schon vielfach untersuchten, populären Festspielkultur erkennen und andererseits in innovativen Kammerspielformen, die im aktuellen Fachdiskurs der Entwicklungslinie des «Composed Theatre» (Roesner/Rebstock 2012) zugeordnet werden. Insbesondere letzterer Bereich setzt sich kritisch und subversiv mit dem umstrittenen, aber immer noch aktuellen politischen Leitbild der «Helvetia mediatrix» (Bundesrat Etter, 1938) auseinander und ist vermutlich gerade deshalb spätestens seit der Jahrtausendwende zum vielbeachteten Botschafter einer weltläufigen «Swissness» auf dem Gebiet zeitgenössischer Kunst geworden.
Vorgehen
Nach dem Aufbau einer repräsentativen Datenbank zu wegweisenden Fallbeispielen im Zeitraum von 1945 bis heute erfolgt die Analysearbeit in drei Schritten: 1) Zunächst wird das Bedeutungs- und Wirkungspotenzial künstlerischer Codierungen eines Wir-Bewusstseins im Detail analysiert. 2) Dann wird untersucht, wie sich dieses Potenzial entfaltet. Hierfür gilt es aus kulturwissenschaftlicher Perspektive festzustellen, wie das Zeichensystem Musiktheater mit den umgebenden soziokulturellen Systemen interagiert. 3) Schliesslich stellen wir die gewonnenen Erkenntnisse auf den Prüfstand, indem wir ausgewählte zentrale Codierungen aus den Fallbeispielen in die künstlerische Praxis zurückführen. Ziel ist es dabei, dass aufführungspraktische Reenactments und experimentelle Bearbeitungen solcher Module die Mechanismen der Aufführungssituation und die sozialen Aspekte dieser Codierungen von kollektiver Identität offenlegen und der sinnlichen Erfahrung zugänglich machen.
Ergebnisse
Das Projekt zielt darauf ab, eine Lücke in der Schweizer Musik- und Theaterhistoriografie zu schliessen und zu untersuchen, inwieweit neuere Musiktheaterformen vergleichbare identitätspolitische Funktionen übernehmen wie die Oper im umgebenden Ausland. Jenseits des Musiktheaterhorizonts ergänzt das Projekt ferner den aktuellen Diskurs um die Rolle zeitgenössischer Kunst für die Stabilisierung bzw. Destabilisierung kollektiver Identitäten in der Schweiz.