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Neue Freiheiten durch Bewegung – Innovationen für Querschnittsgelähmte
06.10.2021 Sich frei in Stadt und Natur bewegen, Sport treiben und die Kontrolle über den eigenen Körper haben: für Personen mit einer Querschnittlähmung keine Selbstverständlichkeit. Doch die Rehabilitationsforschung schreitet voran. Am 47. Face to Face Meeting der Berner Fachhochschule BFH erfuhren Interessierte, wie das Zusammenspiel von Forschung, Technologie und Bewegung Querschnittsgelähmten neue Freiheiten ermöglicht und zudem Gesundheitsrisiken minimieren kann.
Der aktuelle Stand der Rehabilitationsforschung für Patient*innen mit Rückenmarksverletzungen stand im Zentrum der Fachveranstaltung, die am 30. September in Nottwil mit Forscher*innen aus verschiedenen Disziplinen und Hochschulen stattfand. Dr. Lukas Rohr, Leiter des Departements Technik und Informatik der Berner Fachhochschule BFH, begrüsste die rund 70 Teilnehmer*innen. Er erklärte, dass die fünf Referent*innen nicht nur durch das gleiche Thema verbunden sind, sondern auch durch ein gemeinsames Forschungsprojekt, die TrykeStudy. Den Anfang der Vorträge machte Sebastian Tobler, Dozent an der BFH im Fahrzeugbau, der nach einem Unfall selbst im Rollstuhl sitzt. Er erzählte über seine eigene Motivation und sein Ziel, einen Weg zu finden, wie Arme und Beine synchronisiert bewegt werden können und Patient*innen im Rollstuhl zu mehr Bewegung und Freiheit gelangen. Daraus resultierte die TrykeStudy sowie das Startup GBY AG, welches Trikes produziert, die den ganzen Körper bewegen.
Functional Electrical Stimulation FES
Prof. Dr. Kenneth Hunt, der nächste Referent, war einer der ersten Ansprechpartner, mit denen Sebastian Tobler das Trike entwickelte. Als Leiter des Instituts für Rehabilitation und Leistungstechnologie IRPT und Dozent in Maschinentechnik der BFH in Burgdorf arbeitet er an Technologien, die den Rehabilitationsprozess von Menschen nach Unfällen oder Krankheiten verbessern. Er erläuterte dem interessierten Publikum eine Technologie, die es Personen mit einer Lähmung der unteren Gliedmassen erlaubt, ein Trike mit Muskelkraft aus ihren Beinen anzutreiben. Dies dank Functional Electrical Stimulation FES. Mit dieser Technologie haben Hunt und das IRPT bereits zwei Mal am internationalen Cybathlon-Wettkampf teilgenommen und 2016 eine Bronzemedaille gewonnen. Hunt erläuterte, wie das Trainieren mittels FES-Technologie zu einer verbesserten Gesundheit beiträgt.
Hirn – Rückenmark – Muskeln
Im Anschluss gaben Prof. Dr. Grégoire Courtine und Jocelyne Bloch vom Defitech Center for International Neurotherapies (NeuroRestore) der EPFL Einblick in die Resultate ihrer Forschung im Bereich der Neurotechnologie und zeigten auf, wie diese zum Heilungsprozess nach einer Rückenmarksverletzung beitragen können. Durch ihre ausführliche Untersuchung des Rückenmarks können sie genau beschreiben, an welchen Stellen im Rückenmark welche Bewegungen aktiviert werden. Sie konnten nachweisen, dass sich durch die Stimulation dieser Areale neue Verbindungen bilden können, die zu einer erhöhten Funktionsfähigkeit führen können. Zurzeit arbeitet das Forschungsteam um Courtine und Blochdaran, die Stimulationen nicht nur über das Rückenmark ansteuern zu können, sondern die Bewegungsimpulse im Rückenmark direkt im Hirn, also über Gedanken, auszulösen.
Erkenntnisse aus der Verhaltenswissenschaft
Prof. Dr. Sara Rubinelli von der Universität Luzern sprach über die Studie zur Akzeptanz und Nutzung des Trikes bei den End-User*innen. Sie erläuterte, wie die Usability-Erhebung das Projekt aus der Perspektive der Personenzentrierung, der Ko-Kreation und des Technologie-Engagements bereichert hat. Zudem erklärte Rubinelli, wie die Erkenntnisse aus der Studie zur Innovation des Trikes beigetragen haben.
Positiver Effekt von aktiver, körperlicher Bewegung
Den Abschluss machte Jérôme Barral, Dozent an der Universität Lausanne. Er sprach über das Quadract Projekt, in dem untersucht wurde, welchen Einfluss Armbewegungen auf die Beine haben. Dafür trainierten die Probanden auf einem neuartigen Quadruped-Trainingsgerät, das vom Team Hunt am IRPT und in der Abteilung Maschinentechnik der BFH entwickelt wurde. Die Resultate zeigten, dass Armbewegungen, welche die Beine passiv mitbewegen, die Muskeln in den Beinen zu aktivieren vermögen. Wurden die Arme passiv bewegt, war dies hingegen nicht der Fall. Die Erkenntnisse illustrieren den positiven Effekt von aktiver, Ganzkörper-Bewegung, wie sie auch auf dem Trike ausgeübt wird.
Teamwork führt zum Erfolg
Die Veranstaltung schloss mit einer spannenden Gesprächsrunde mit Fragen aus dem Publikum. Zwar verspricht die Forschung noch keine Heilung, aber dennoch können durch die Zusammenarbeit der Forschenden über Hochschul- und Disziplinengrenzen hinweg wichtige Erfolge erreicht werden. Es bleibt spannend im Feld der Rehabilitationsforschung für querschnittsgelähmte Menschen.