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Erfolgreich führen durch Offenheit und lebenslanges Lernen
26.09.2024 Dr. Rainer Gaupp diskutiert die vielfältigen Herausforderungen, denen Führungskräfte im Gesundheitswesen gegenüberstehen. Von Fachkräftemangel und Digitalisierung bis hin zu Regulationen und Innovationen – er beleuchtet, wie Führungskräfte diese Hürden erfolgreich meistern können.
Das Wichtigste in Kürze
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Führungskräfte im Gesundheitswesen müssen die Balance zwischen Effizienz, Versorgungsqualität und Digitalisierung meistern.
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Als Change Agents fördern sie Innovationen und pflegen individuelle Beziehungen.
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Offenheit für Veränderungen, lebenslanges Lernen und interprofessionelles Arbeiten sind entscheidend.
Vor welchen Herausforderungen stehen Führungskräfte im Gesundheitswesen?
Rainer Gaupp: In fast jeder Branche herrscht die Denke, dass sie einzigartige Herausforderungen hat. Ich finde nicht, dass dies der Fall ist. Was aber im Gesundheitswesen relevant ist, ist die Expertenorganisation. Hier engagieren sich Fachpersonen intensiv für ihr Gebiet. Besonders in akademischen Gesundheitseinrichtungen, wo Forschung und Versorgung ineinander übergehen, ist das Interesse am Fach oft grösser als am unternehmerischen Erfolg der Organisation.
Zur Person: Dr. Rainer Gaupp
Dr. Rainer Gaupp ist Leiter Unternehmensentwicklung der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und hat verschiedene Lehraufträge an der BFH, unter anderem im MSc Pflege, im CAS Qualitätsmanagement und im neuen MSc Healthcare Leadership. In letzterem verantwortet er das Modul Strategisches Denken und Handeln.
Warum ist das so?
Viele, die in Gesundheitsberufen tätig sind, interessieren sich vor allem für den Menschen. Unternehmerisches Denken ist ihnen oft fremd. Als Führungskraft muss man sich dessen bewusst sein und damit umgehen können.
Welche weiteren Herausforderungen gibt es im Gesundheitswesen?
Ein weiterer Punkt ist die starke Regulierung und die Bindung an Tarifsysteme. Führungskräfte müssen eine Balance zwischen Effizienz und Versorgungsqualität sowie Patientensicherheit finden. Der Druck durch Tarife und Qualitätsvorgaben erfordert stark optimierte digitale Prozesse. Dazu kommt der Fachkräftemangel, der besonders kleinere Spitäler und weniger attraktive Standorte betrifft.
Können solche Herausforderungen noch bewältigt werden?
Ja, durch ein klar fokussiertes Mindset, bei dem die Patient*innen im Mittelpunkt stehen. Patientenfremde Aufgaben sollten möglichst automatisiert werden. Die Offenheit für die digitale Transformation ist ebenfalls wichtig, auch wenn sie oft als Herausforderung und zu wenig als Chance gesehen wird. Dieses Mindset müssen Führungskräfte speziell fördern. Zudem ist politisches Verständnis und Engagement wichtig. Führungskräfte sollten sich in Verbänden engagieren, um beispielsweise das Tarifsystem mitzugestalten.
Welche Anforderungen stellen Sie an Führungskräfte in der Branche?
Führungskräfte sind Change Agents. Sie tragen Transformationen mit und begleiten die Mitarbeitenden dabei. Change Management ist nicht exotisch, sondern allgegenwärtig. Auch nehme ich wahr, dass Mitarbeitende im Gesundheitswesen persönliche und individuelle Beziehungen zu ihren Vorgesetzten erwarten, so wie sie es ihren Patient*innen bieten. Führungskräfte müssen also auf individueller Ebene führen und viel Beziehungsarbeit leisten.
Muss man aus dem Gesundheitswesen kommen, um im Gesundheitswesen zu führen?
Nicht unbedingt. Externe Expertise kann wertvolle neue Perspektiven bringen und den Fachkräftemangel lindern.
Wie hat sich die Arbeit im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren verändert?
Die Bedürfnisse der Patient*innen haben sich verändert, sie stellen höhere Ansprüche an die Gesundheitsversorgung. Der regulatorische Druck hat stark zugenommen. Externe Anforderungen, zum Beispiel aus dem Qualitätsmanagement sowie die Notwendigkeit der Datenerhebung, haben die Arbeit sowohl in kleinen Geburtshäusern als auch in grossen Kliniken stark verändert. Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter*innen heute anders einsetzen und administrativen Aufgaben mehr Gewicht geben. Regulationen und Berichterstattungspflichten werden in Zukunft weiter zunehmen. Diese sind sinnvoll, machen das System aber auch komplizierter. Sie bieten vor allem auch Chancen für neue Karrieremöglichkeiten von Gesundheitsfachpersonen, die sich hierauf spezialisieren.
«Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter*innen heute anders einsetzen und administrativen Aufgaben mehr Gewicht geben. Regulationen und Berichterstattungspflichten werden in Zukunft weiter zunehmen.»
Wie kann eine Führungsperson Innovationen im eigenen Gesundheitsunternehmen fördern?
Im Gesundheitswesen gibt es viele administrative Hürden und Hierarchien, die Innovationen behindern – anders als in Start-ups, die für ihre Idee brennen und agiler sind. Grosse Unternehmen begegnen diesem Problem mit Innovationsprogrammen oder dem Aufkauf von Start-ups. Das Gesundheitswesen könnte besser mit der Start-up-Welt interagieren und eine Innovationskultur fördern, die agiles Arbeiten und den Mut zur Lücke unterstützt. Führungskräfte sollten Entscheidungshoheiten abgeben und die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden nutzen.
Das Tarifsystem ist kein Hindernis bei Innovationen?
Das Tarifsystem bildet die aktuelle Realität oft nicht ab. Es kann ein Hindernis sein, aber die Organisationen müssen lernen, damit umzugehen und sich selbst zu verändern. Das Tarifsystem ist wichtig für Health Equity in der Schweiz. Wenn wir effizienter arbeiten, wirkt sich dies auch positiv auf das Tarifsystem aus. Hier gilt es anzusetzen.
«Im Gesundheitswesen gibt es viele administrative Hürden und Hierarchien, die Innovationen behindern – anders als in Start-ups, die für ihre Idee brennen und agiler sind.»
Welche Trends und Herausforderungen sehen Sie als besonders relevant für die Führungspersonen im Gesundheitswesen – lokal und global?
Auf lokaler Ebene ist der Fachkräftemangel die grösste Herausforderung, gefolgt von der digitalen Transformation, die aber auch zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen kann. Auf globaler Ebene stehen Themen wie Health Equity und Krisenmanagement wie während der Pandemie im Vordergrund. Die digitale Transformation wird Therapie und Arbeitsaufgaben weiter verändern. Auch der demografische Wandel, geopolitische Krisen und das immer wichtiger werdende Thema Nachhaltigkeitsmanagement werden das Gesundheitswesen stark beeinflussen.
Wie können sich Führungskräfte im Gesundheitswesen auf diese Entwicklungen vorbereiten?
Durch Offenheit für Veränderungen, lebenslanges Lernen und interprofessionelles Arbeiten – sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Branche.
Arbeitswelt Gesundheitswesen im Fokus
Arbeiten im Gesundheitswesen bedeutet Arbeiten im Wandel. Wir veröffentlichen an dieser Stelle eine Reihe von Beiträgen mit Forschungsprojekten, die sich diesem Wandel annehmen. Sie setzen auf Organisations- und Teamebene, aber auch beim Individuum an.