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Welche Rolle spielen Vergütungssystem bei der Arbeitslast?
30.10.2024 Das Schweizer Fallpauschalensystem setzt Spitäler unter Druck, wirtschaftlich zu arbeiten. Ärzt*innen und Pflegepersonal müssen dabei zunehmend finanzielle Aspekte berücksichtigen, was ihre Arbeitsbelastung erhöht. Unklar bleibt, wie stark das System die Versorgungsqualität beeinflusst.
Das Wichtigste in Kürze
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Aufgrund des Fallpauschalensystem müssen Gesundheitsfachpersonen neben medizinischen Aspekten zunehmend auch finanzielle Überlegungen in ihre Entscheidungen miteinbeziehen.
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Bisher gibt es keine umfassenden Studien, die den Einfluss der Vergütungssysteme auf die Versorgungsqualität und die Arbeitsbelastung des Personals belegen.
Schweizer Spitäler verwenden für die Leistungsabrechnung das Fallpauschalensystem Swiss-DRG. Dieses System legt fest, wie viel Geld ein Spital für eine bestimmte Behandlung erhält. Patient*innen werden anhand ihrer Diagnosen und der durchgeführten Prozeduren in Fallgruppen eingeordnet, für die ein Kostengewicht festgelegt ist. Dadurch trägt das Spital die Kosten und wird dazu angehalten, wirtschaftlich zu arbeiten. Auch in anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung wie der Physiotherapie gibt es zeitliche und leistungsbezogene Einschränkungen. So ist eine Therapieeinheit auf eine bestimmte Anzahl von Minuten begrenzt – unabhängig vom tatsächlichen Bedarf.
Zusätzlich zu den Vergütungssystemen erhöhen Qualitätsmanagement und Dokumentationsanforderungen die Arbeitsbelastung des Personals. Laut dem Spitalpflegereport stieg die Arbeitsbelastung durch die Einführung neuer Informationssysteme wie Patientendatenmanagementsysteme bei rund 39 Prozent der befragten Pflegefachpersonen (Arnold et al., 2024). Ausserdem sind bei der Abrechnung häufig Rücksprachen mit Versicherungen notwendig.
Vergütungssysteme und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung
Es gibt bisher keine umfassenden Studien, die den direkten Zusammenhang zwischen Vergütungs- und Abrechnungssystemen sowie der Arbeitsbelastung und dem Stress von Gesundheitspersonal untersuchen. Allerdings berichten insbesondere Ärzt*innen zunehmend von finanziellem Druck und der Notwendigkeit, wirtschaftliche Aspekte in ihre Entscheidungen einzubeziehen (Lückmann et al., 2023). In der Schweiz wird das Fallpauschalensystem von Ärzt*innen als ineffizient wahrgenommen, da finanzielle Überlegungen in den Vordergrund rücken (Fässler et al., 2015).
Trotzdem liefern die vorhandenen Studien einige Hinweise darauf, wie sich Vergütungssysteme auf die Patientenversorgung und den Arbeitsalltag auswirken. Das Gesundheitspersonal möchte stets das Wohl der Patient*innen im Blick behalten, während es gleichzeitig die finanzielle Stabilität des Spitals sichern muss. Es liegt nahe, dass finanzielle Anreize wie höhere Vergütungen oder zusätzlich erbrachte Leistungen in den Entscheidungsprozess einfliessen.
Beispiel: Upcoding in der Geburtshilfe
Ein Beispiel für die Auswirkungen von Vergütungssystemen ist das sogenannte Upcoding in der Geburtshilfe. Dabei werden medizinische Leistungen höher abgerechnet als sie tatsächlich waren, um mehr Einnahmen zu erzielen. In der Neonatologie spielt das Geburtsgewicht eines Neugeborenen eine Rolle bei der Vergütung: Liegt es unter 2500 Gramm, fällt die Vergütung deutlich höher aus, da der Versorgungsbedarf grösser ist. Studien aus der Schweiz, Deutschland und den USA zeigen, dass in einigen Fällen das Geburtsgewicht manipuliert wird, um höhere Zahlungen zu erhalten. Für die Schweiz wird geschätzt, dass zwischen 14 und 27 Prozent der relevanten Fälle davon betroffen sein könnten (Hochuli, 2020). Solche Manipulationen führen jedoch nicht zwangsläufig zu einer intensiveren Behandlung. Es bleibt schwierig, medizinische und finanzielle Entscheidungen klar voneinander zu trennen (Reif et al., 2018).
Steigende Fallzahlen und sinkende Verweildauer in der Chirurgie
Ein weiteres Phänomen ist die steigende Anzahl von Behandlungen bei gleichzeitig sinkender Verweildauer der Patient*innen im Spital. Während dies für Patient*innen vorteilhaft sein kann, erhöht es den Druck auf das Personal, da mehr Fälle in kürzerer Zeit bewältigt werden müssen. So ist die Verweildauer bei Bandscheibenoperationen zwischen 2015 und 2022 um etwa einen Tag gesunken, während die Fallzahl um 797 gestiegen ist (siehe Abbildung).
Lesebeispiel
Die Verweildauer bei Bandscheibenoperationen ist zwischen 2015 und 2022 um etwa einen Tag gesunken, während die Fallzahl um 797 gestiegen ist.
Es bleibt jedoch unklar, in welchem Ausmass verschiedene Vergütungssysteme diese Entwicklung beeinflussen und welche Auswirkungen dies auf die Versorgungsqualität hat. Studien liefern hierzu widersprüchliche Ergebnisse (Pott et al., 2023). In der Anfangsphase der DRG-Einführung in der Schweiz wurden zwar weniger Hospitalisierungen, dafür aber mehr Rehospitalisierungen verzeichnet (Busato & von Below, 2010). Bisher fehlen jedoch belastbare Studien, die die genauen Auswirkungen der DRG-Einführung auf die Versorgungsqualität, die Fallzahlen oder sogar die Arbeitsbelastung in der Schweiz untersuchen.
Lösungsansätze
Welches Vergütungssystem belastet den Arbeitsalltag am wenigsten? Ein System, das den Versorgungsprozess nicht beeinflusst, gibt es wahrscheinlich nicht. Bei Einzelleistungsvergütungssystemen, wie sie im ambulanten Bereich üblich sind, wird jede erbrachte Leistung einzeln abgerechnet. Das kann zu einer Vielzahl von abgerechneten Leistungen führen, ohne die Arbeitsbelastung zu verringern.
Ein möglicher Lösungsansatz wäre zu prüfen, wie sich das Vergütungssystem auf die Zeitressourcen des Personals auswirkt. Wie viel Zeit bleibt für die direkte Betreuung von Patient*innen? Welche vergütungsrelevanten Aufgaben erhöhen den Arbeitsaufwand und die organisatorische Belastung? Auch sollte untersucht werden, ob genügend Zeit für die Dokumentation vorhanden ist und ob diese gut in die Versorgung integriert werden kann. Fehlt diese Zeit, können zusätzliche Arbeitsschritte notwendig werden.
Ein weiterer Ansatz liegt in der Nutzung digitaler Technologien. Künstliche Intelligenz (KI) könnte das Personal entlasten, indem sie die Dokumentation vereinfacht und auf wichtige, versorgungs- und vergütungsrelevante Punkte hinweist. Ausserdem könnte KI in Echtzeit bei Entscheidungen über die Vergütung und Ressourcenverteilung helfen und so die Effizienz und Qualität der Versorgung verbessern.
Referenzen
- Arnold, D. M., Posch, D. A. & Selhofer, L. (2024). Spitalpflegereport Schweiz 2023. Einblick in die Arbeitswelt der Pflegefachpersonen in Schweizer Spitälern nach der Covid-Krise.
- Busato, A. & von Below, G. (2010). The implementation of DRG-based hospital reimbursement in Switzerland: A population-based perspective. In: Health Research Policy and Systems, 8(1), 31.
- Fässler, M., Wild, V., Clarinval, C., Tschopp, A., Faehnrich, J. A. & Biller-Andorno, N. (2015). Impact of the DRG-based reimbursement system on patient care and professional practise: Perspectives of Swiss hospital physicians. In: Swiss Medical Weekly, 145(0708).
- Hochuli, P. (2020). Losing body weight for money: How provider-side financial incentives cause weight loss in Swiss low-birth-weight newborns. In: Health Economics, 29(4), S. 406–418.
- Lückmann, S. L., Böhme, G., Krüger, F., Hiemer, S., Al-Ali, H.-K. & Wuppermann, A. (2023). Finanzielle Beeinflussung medizinischer Entscheidungen in Deutschland – Eine Übersichtsarbeit zu Ursachen und Forschungsstand von ökonomischen Einflüssen in der stationären Versorgung. In: DMW - Deutsche Medizinische Wochenschrift, 148(14), S. 916–920.
- Pott, C., Stargardt, T. & Frey, S. (2023). Does prospective payment influence quality of care? A systematic review of the literature. In: Social Science & Medicine, 323(115812).
- Reif, S., Wichert, S. & Wuppermann, A. (2018). Is it good to be too light? Birth weight thresholds in hospital reimbursement systems. In: Journal of Health Economics, 59, S. 1–25.
Arbeitswelt Gesundheitswesen im Fokus
Arbeiten im Gesundheitswesen bedeutet Arbeiten im Wandel. Wir veröffentlichen an dieser Stelle eine Reihe von Beiträgen mit Forschungsprojekten, die sich diesem Wandel annehmen. Sie setzen auf Organisations- und Teamebene, aber auch beim Individuum an.