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Von Wachstum zu Herausforderung: Wie sich die Schweizer Regionalpolitik entwickelt
15.10.2024 Wie sich die Schweizer Regionalpolitik in den letzten 50 Jahren verändert hat, untersucht unsere Forscherin Rahel Meili vom Institut Sustainable Business in ihrem aktuellen Paper. Gemeinsam mit ihrer Co-Autorin Prof. Dr. Heike Mayer von der Universität Bern beleuchtet sie, wie die Regionalpolitik an gesellschaftliche Herausforderungen angepasst wurde, damit Bergregionen und ländliche Gebiete wettbewerbsfähiger werden. Im Interview spricht sie über die wichtigsten Erkenntnisse.
In eurem Paper spricht ihr über einen Paradigmenwechsel in der Schweizer Regionalpolitik (NRP) – von einer wachstumsorientierten zu einer herausforderungsorientierten Politik. Was waren die treibenden Kräfte dahinter?
Rahel Meili: Der Druck zu mehr Nachhaltigkeit in der Regionalpolitik und die Überlegungen, in welche Richtung das wirtschaftliche Wachstum einer Region gehen soll, kommen meines Erachtens von drei Seiten:
- in der Schweiz wurde zunehmend die rein wachstumsorientierte Regionalpolitik hinterfragt. Akteur*innen aus Kantonen und Regionen, Organisationen wie die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) sowie die Wissenschaft kritisierten das bestehende Rahmenwerk (Exportbasis-Ansatz) und forderten eine Überarbeitung. Diese Kritik zeigte Wirkung: Zur neuen Legislatur 2024 überprüfte der Bund das bestehende Rahmenwerk und startete einen partizipativen Prozess, um neue Ansätze in die wirtschaftliche Entwicklung einzubinden.
- diskutierte auch die internationale Wissenschaftscommunity in den letzten Jahren intensiv über die Ausrichtung von Regionalpolitik und Innovationsförderung. Wissenschaftler*innen argumentieren, dass die Politik eine umfassendere Sicht auf Regionalentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit entwickeln und strategischer über Zuschüsse entscheiden sollte.
- übernahm die EU im Rahmen ihrer Regionalpolitik, die auf dem Smart-Specialisation-Ansatz basiert, zunehmend eine herausforderungsorientierte Sichtweise. Sie fördert soziale Innovationen und Projekte, die die wirtschaftliche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen. Das Ressort Regional- und Raumordnungspolitik des SECO hat die wissenschaftlichen Trends sowie die Entwicklungen in der EU-Regionalpolitik kontinuierlich beobachtet und daraus Rückschlüsse für die Schweiz gezogen.
Welches sind die neuen Herausforderungen konkret?
Generell würde ich hier von den Megatrends in der Raumentwicklung sprechen, die sowohl städtische als auch ländliche Regionen betreffen: Globalisierung, Digitalisierung, Individualisierung, demografischer Wandel, Migration und Klimawandel. Je nach Raumtyp zeigen sich diese Megatrends in unterschiedlichen Ausprägungen, die auch unterschiedliche Lösungsansätze erfordern. Die Regionalpolitik in der Schweiz trägt diesem Umstand Rechnung, indem die Kantone jeweils eigene Umsetzungsprogramme mit individuellen Schwerpunktsetzungen formulieren können.
Die Neue Regionalpolitik (NRP) betont die Förderung von Innovation, Wertschöpfung und Nachhaltigkeit. Wie wird diese Balance zwischen diesen Aspekten in der Praxis umgesetzt?
Wichtig ist zu betonen, dass die NRP eine Wirtschaftspolitik ist und auch bleiben wird – also Wertschöpfung und Innovation im Zentrum stehen. Im Vergleich zu anderen sektoralen Politiken in der Schweiz verfügt die NRP über ein relativ kleines Budget. Es ist daher unrealistisch, von der NRP allein eine transformative systemische Veränderung zu erwarten. Die Regionalpolitik der Schweiz muss im grösseren Kontext der nationalen sektoralen Politiken betrachtet werden. So stellt das nationale Finanzausgleichssystem den Kantonen deutlich mehr Mittel zur Verfügung als die NRP, und Programme wie Innosuisse, die Innovationsprojekte in Unternehmen unterstützen, verfügen über wesentlich höhere Budgets und damit ein grösseres transformatives Potenzial. Eine breitere Perspektive ist erforderlich, um zu untersuchen, wie verschiedene nationale Finanzierungsmechanismen gemeinsam zur Förderung von Nachhaltigkeit beitragen können.
Dennoch gewinnt die nachhaltige Entwicklung in der NRP zunehmend an Bedeutung. Ab 2024 wurde sie zu einem der bereichsübergreifenden Themen in den kantonalen Umsetzungsprogrammen. Dieses Konzept umfasst zentrale Nachhaltigkeitsschwerpunkte, darunter nachhaltiger Konsum und Produktion, Klima, Energie, Biodiversität, Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt. Innerhalb dieser Schwerpunkte wählen die Kantone ein Nachhaltigkeitsziel aus und stimmen es mit ihren Prioritäten in den Bereichen Industrie, Innovation und Tourismus ab. In ihren Umsetzungsprogrammen legen sie schliesslich Projekte und Massnahmen zur Erreichung dieser Nachhaltigkeitsziele fest.
Welche Rolle wird die Nachhaltigkeit in den kommenden Jahren weiter spielen?
Die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit in der Schweizer Wirtschaft ist unumgänglich. Gerade die Schweiz, die zu den innovationsstärksten Ländern der Welt gehört, kann in dieser Transformation eine führende Rolle übernehmen. Dass sich Unternehmen mit Themen wie der Kreislaufwirtschaft auseinandersetzen müssen, wird zunehmend alternativlos. Auch der politische Druck durch Regulierungen und neue Gesetze, vor allem aus der EU, wird zunehmen.
Zudem ist es besonders interessant, wie sich ländliche Regionen und Berggebiete in dieser Transformation positionieren werden. Diese Veränderungen werden auch Auswirkungen auf globale und nationale Wertschöpfungsketten haben. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich ländliche Regionen, die heute wirtschaftlich schwächer aufgestellt sind, in diesen neuen Wertschöpfungsketten positionieren werden und was dies für ihre wirtschaftliche Entwicklung bedeutet.