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Solarstromernte auf Bauernland
12.09.2024 Landwirtschaftliche Flächen könnten schon bald einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Mit dem neuen Kompetenzzentrum AgriSolar-Forum erforscht die Berner Fachhochschule die Kombination von Solarstromproduktion und Landwirtschaft.
Würden alle geeigneten Gebäudedächer in der Schweiz für die Stromproduktion mittels Photovoltaik (PV) verwendet, wäre die Energiewende schon umgesetzt. Christof Bucher, Professor für PV-Systeme am Departement Technik und Informatik der BFH (BFH-TI), bleibt aber realistisch: «Es dauert zu lange, bis alle Dächer über PV-Anlagen verfügen, um die Dekarbonisierung bis 2050 zu schaffen. Deshalb müssen wir auch an anderen Orten Solarstrom produzieren.» Eine Alternative wären alpine Solarparks, die grosse Mengen des begehrten Winterstroms liefern könnten. Allerdings stossen sie wegen des Eingriffs ins Landschaftsbild vielerorts auf Widerstand. Zudem sind ihr Bau in abgelegenen Gegenden und der Anschluss ans Netz kostspielig.
Agri-PV muss die landwirtschaftliche Produktion begünstigen
Ganz anders sind die Bedingungen beim Bau von Solarparks ausserhalb von Bauzonen im Mittelland. Ein grosses Potenzial birgt die Kombination von Landwirtschaft und Stromerzeugung auf derselben Fläche, kurz: Agri-PV. Konkret würde das so aussehen, dass am Boden landwirtschaftliche Kulturen gedeihen oder Kühe weiden, während im «oberen Stockwerk» Solarpanels das Sonnenlicht einfangen und in Strom umwandeln. Christof Bucher sieht bei diesem Konzept Vorteile: «Es gibt viele kreative Landwirte, die gegenüber neuen Technologien aufgeschlossen sind. Sie sind in der Lage, Agri-PV-Anlagen rasch und zu relativ geringen Kosten zu realisieren.» Allerdings gebe es auch noch politische und rechtliche Fragen und entsprechende Vorbehalte. Zu diesen gehöre die Befürchtung, dass die Landwirtschaft fruchtbare Böden zulasten der Nahrungsmittelproduktion für die lukrative Stromproduktion missbrauchen könnte. Gemäss Raumplanungsgesetz können Solaranlagen auf Landwirtschaftsland nur bewilligt werden, wenn sie Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirken. Bislang fehlen aber die Erfahrungen, um diesen Mehrwert verlässlich beurteilen zu können.
Vereinte Kompetenzen zweier BFH-Departemente
Um das zu ändern, braucht es Versuchsanlagen und Forschung. Die BFH will einen Beitrag dazu leisten, die Wissenslücken zu schliessen und Agri-PV zum Durchbruch zu verhelfen. Zu diesem Zweck hat sie das AgriSolar-Forum gegründet. Es ist das Kompetenzzentrum zur Erforschung von Agri-PV-Anlagen und vereint Spezialist*innen der BFH-Departemente Technik und Informatik sowie Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften. Damit ist gewährleistet, dass PV-spezifische und agrarökologische Fragen mit der nötigen Expertise aus einer Hand bearbeitet werden.
Die positive Auswirkung einer PV-Anlage auf die landwirtschaftliche Produktion kann ganz offensichtlich sein – zum Beispiel wenn ein Salatfeld durch die PV-Module vor Hagel geschützt wird. Auch der Schutz vor intensiver Sonneneinstrahlung und exzessiver Hitze kann bestimmten Kulturen wie Gemüse, Obst oder Beeren zugute kommen. Möglicherweise reduzieren die Solarpanels aber auch die Wärmeabstrahlung des Bodens in kalten Frühlingsnächten und verhindern so Frostschäden. Erst im Feldversuch wird sich letztlich zeigen, welche Kulturen unter welchen Bedingungen von einer Agri-PV-Anlage profitieren, mehr Ertrag abwerfen und vielleicht auch weniger Pflanzenschutzmittel benötigen. Eine besondere Herausforderung sind laut Christof Bucher die sehr heterogenen Verhältnisse in der Schweiz: «Jede Region hat ihre eigenen Böden, ein spezifisches Klima und typische Kulturen. Daher können wir nur bedingt von Erfahrungen aus anderen Ländern profitieren.»
Grossversuch im Himbeerfeld
Die grösste Agri-PV-Anlage der Schweiz ist seit kurzem in Gelfingen (LU) in Betrieb. Die Bioschmid GmbH will hier in einer bestehenden Himbeerkultur herausfinden, inwiefern sich die Ertragsmenge und die Qualität dank dem Witterungsschutz und der Beschattung durch die Solarpanels steigern lassen. Dazu erhofft sich der Betrieb zusätzliche Einnahmen aus der Stromproduktion. Das Projekt wird vom Bundesamt für Energie, dem Lotteriefonds und Stiftungen mitfinanziert und von der BFH und der Forschungsanstalt Agroscope wissenschaftlich begleitet. Es soll Aufschluss darüber geben, welche Agri-PV-Anlage bei möglichst tiefen Investitions- und Betriebskosten am meisten Strom liefert und zugleich die Himbeeren am besten gedeihen lässt. Dazu wurden drei Teilflächen mit unterschiedlichen PV-Systemen ausgerüstet. Beim ersten sind die Module senkrecht an den Pfosten befestigt, zwischen denen die Drähte zum Stabilisieren der Himbeerstauden gespannt werden. Die beiden anderen Systeme sind auf einem Metallgerüst über den Stauden montiert. Bei einem lässt sich die Neigung der PV-Module mittels Steuerung und Motor dem Stand der Sonne nachführen. Das ermöglicht es, die Stromproduktion zu optimieren und die Beschattung zu regulieren. Alle PV-Module verfügen über Solarzellen, die das Sonnenlicht auf beiden Seiten einfangen und so auch reflektiertes Licht nutzen.
Christof Bucher, der das Labor für Photovoltaiksysteme der BFH-TI leitet, hofft auf viele neue Erkenntnisse: «Im Einsatz sind zwar normale PV-Module, aber es stellen sich viele systemspezifische Fragen.» Um sie zu beantworten, werden über die ganze dreijährige Projektdauer Daten zu den Modulen, den Wechselrichtern und den Umweltbedingungen erhoben. Dabei kommen auch sogenannte Optimizer zum Einsatz. Sie messen den Energieertrag jedes PV-Moduls und registrieren Abweichungen der rückseitigen Einstrahlung, die durch den unregelmässigen Bewuchs im Himbeerfeld verursacht wird. Die Analyse der Daten soll zuletzt zeigen, welches der drei Systeme die besten Resultate erbringt.
Christof Bucher ist «optimistisch, dass Agri-PV Zukunft hat». Die Kombination von landwirtschaftlicher Produktion mit Stromerzeugung werde sich vor allem dort, wo die Kulturen einen Witterungsschutz benötigen, rasch durchsetzen. Das AgriSolar-Forum der BFH will diese Entwicklung eng begleiten.