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Microcyte: grosses Blutbild im Kleinformat
09.02.2024 Klein, leicht und günstig soll es sein. Cédric Bessire, Experte für Mikrofluidik und bildbasierte Sensorik an der BFH, forscht mit einem Team an einem Diagnosegerät, um Blutanalysen einfacher durchzuführen. «Microcyte» heisst die Innovation, die auf einem winzigen Plastikchip basiert.
Um den Gesundheitszustand von Patient*innen zu beurteilen, werden in Kliniken häufig Blutanalysen durchgeführt. In den meisten Fällen greift man dabei auf das grosse Blutbild zurück. «Das ist der meistdurchgeführte Bluttest weltweit», sagt Cédric Bessire, Experte für Mikrofluidik und bildbasierte Sensorik am Institute for Human Centered Engineering HuCE an der BFH. Das grosse Blutbild zeigt, ob eine bakterielle oder virale Infektion oder eine Blutarmut vorliegt. «Für diesen Test entnimmt medizinisches Praxispersonal meistens Blut aus der Vene», erklärt Bessire. Die heutige Technologie basiere auf durchflusszytometrischen Laborgeräten mit Pumpen, die das entnommene Blut mit Chemikalien mischen. Die Tests seien komplex und die Diagnosegeräte relativ gross und teuer.
Cédric Bessire und sein Team waren der Ansicht, dass ein so häufig angewendeter Bluttest doch mit weniger Blut und günstigeren Geräten möglich sein müsse. Genau hier knüpfen sie mit dem Produkt Microcyte an: «Wir wollen ein Point-of-Care-Gerät entwickeln, um kostengünstige Blutbilder durchzuführen – unabhängig vom Standort auf der Welt.» Für den Test solle die Entnahme eines kleinen Tropfens Kapillarbluts des Fingers reichen. Ganz konkurrenzlos sei das Produkt nicht, sagt Bessire. Auch andere Firmen seien dabei, solche Geräte zu entwickeln, aber der Markt kenne noch keine wirkliche finale Lösung.
Weniger als ein Tropfen Blut
«Unsere Innovation basiert auf einem Mikrofluidik-Chip – einem zwei Quadratzentimeter grossen Plastikchip», sagt der Forscher der BFH. Die Blutentnahme erfolgt durch einen kleinen Pick am Finger. Das entnommene Blut wird auf dem Chip platziert und automatisch mit unterschiedlichen Chemikalien vermischt. Es fliesst durch winzige Kanäle und wird mittels Kapillarkräften eingezogen. Anschliessend wird der Chip in das Microcyte-Gerät eingeschoben. Ein Fluoreszenzmikroskop nimmt Bilder von den roten und weissen Blutkörperchen sowie den Blutplättchen auf. Bildalgorithmen erkennen, zählen und messen die Zellen und ergeben die Blutwerte eines grossen Blutbilds. «Für die Analyse brauchen wir lediglich zwei Mikroliter Blut», sagt der 38-Jährige. Das sei ein Bruchteil eines Tropfens aus einem Wasserhahn.
Interessant für Spitex und Entwicklungsländer
Das Projekt befindet sich in einem frühen Stadium. Vor zwei Jahren startete Cédric Bessire das Forschungsprojekt mit Innosuisse, um herauszufinden, ob die Technologie der Mikrofluidik für den Bluttest funktioniert. Unterstützung erhielt er vom damaligen BFH-Studenten und heutigen Co-Projektleiter Alexander Küenzi, der als Masterarbeit einen Prototypen des Diagnosegeräts herstellte. Mittlerweile arbeiten fünf Personen der BFH für das Projekt und entwickeln die Technik des Mikrofluidik-Chips und der Bildverarbeitung sowie das Gerät selbst weiter.
Um ein genaues Bild des Markts für Blutanalysegeräte in der Schweiz zu erhalten, führte das Team viele Interviews mit Ärzt*innen und Mitarbeitenden der Spitex durch. Die günstigsten Geräte in Arztpraxen kosten derzeit rund 10 000 Franken. Das Diagnosegerät Microcyte soll einiges günstiger sein – dem Team schwebt ein Preis von rund 3000 Franken vor. Doch laut Bessire ist der Preis allein für Schweizer Arztpraxen nicht ausschlaggebend. Deshalb spiele man auch mit dem Gedanken, das Gerät an Entwicklungsländer zu verkaufen, die sich die teuren Anlagen nicht leisten können. Das BFH-Entwicklungsteam hatte mit der internationalen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Kontakt und fand heraus, dass die Mitarbeitenden jeweils zwei Point-of-Care-Geräte im Einsatz haben. Eines misst den Hämoglobin-Wert, das andere die weissen Blutzellen. «Wenn die Mitarbeitenden nur noch ein Gerät bräuchten, wäre das für sie ein grosser Fortschritt. Die Hilfsorganisation wollte unser Produkt sofort kaufen», freut sich Bessire.
Die Neuentwicklung sei zudem für mobile Pflegende wie die Spitex interessant, weil sie klein und leicht sei. Das Volumen des Prototyps umfasst zwar noch rund vier Liter, und das Gewicht liegt bei rund zwei Kilogramm. Doch Microcyte soll dereinst in einem Rucksack Platz haben: zwei Liter Volumen und weniger als ein Kilogramm Gewicht, lautet das Ziel der Forschenden.
Das Ziel: ein Start-up
Im September 2023 lief das Innosuisse-Projekt aus. Die Technologie hat sich bewährt. Bis Ende 2024 ist die Finanzierung durch die Gebert Rüf Stiftung gesichert. Nun gehe es darum, die Bluttests zu verbessern, sagt Bessire. Um Referenzwerte zu testen, arbeiten die Forschenden mit dem hämatologischen Labor auf dem Inselareal zusammen. Das Inselspital führt in ihren Labors die Bluttests auf den herkömmlichen Anlagen durch und stellt dem Team um Cédric Bessire das Blut für Testzwecke zur Verfügung. Die Forschenden erhalten die offiziellen Werte des Inselspitals und können sie mit den Blutwerten des Microcyte-Geräts vergleichen. «Das zeigt uns, wie gut unsere Messungen sind», sagt Bessire. Das sei der Weg, um die Kriterien für eine spätere Zertifizierung als Medizinprodukt zu erfüllen. «Verkaufen können wir unser Gerät erst, wenn wir unsere Messungen mit der Referenzmethode testen und die medizinische Zertifizierung erhalten haben.» Nach neusten Tests befinden sich die Vergleichszahlen bei den weissen Blutkörperchen innerhalb der Referenzwerte. Die roten Blutkörperchen und die Blutplättchen hat das Team noch nicht abschliessend getestet.
In einer nächsten Phase geht es darum, das Gerät kleiner und leichter zu machen und die Rahmenbedingungen für die Gründung eines Start-ups zu schaffen.