Projekt «Re-Fuse»
Fabian Wandfluh
Themen
Wohnen
Dienstleist.
Gastronomie
Arbeiten
Infrastruktur
Gewerbe
Areal
Unterkunft
Städtebau
Holz
Standort
Areal der Ryffabrik
Sandrainstrasse 3, 3007 Bern
Studiengang
Bachelor Architektur
Modul
Bachelor-Thesis FS 24
Integrationszentrum für Flüchtende
Betreuung
Download
Projekt «RE-FUSE»
EIN NEUER LEBENSABSCHNITT - FÜR MENSCH UND MATERIAL
Im Berner Marziliquartier, unweit des bekannten Kulturtreffpunkt Gaskessel, auf dem Areal der ehemaligen Ryff- Fabrik, soll ein Integrationszentrum für geflüchtete Menschen entstehen. Prägend für den urbanen Kontext sind die topografischen Gegebenheiten und der Genius Loci des industriellen Areals. Die unmittelbare Nähe der Monbijoubrücke, welche die «Schwemmebene», auf der sich der Projektperimeter befindet, quer überspannt, und von der "Stadtebene" trennt, hat einen starken Einfluss auf die städtebauliche Setzung des zu projektierenden Neubaus.
Dem Konzept des Entwurfs liegt das Ziel zugrunde, die beiden topografischen Ebenen zu verbinden. Dadurch soll die Integration der Personen auch baulich unterstützt werden.
Das Projekt soll aufzeigen, dass mittels Re-Use ein flexibles Gebäudesystem entstehen kann, das auf wechselnde Bedürfnisse und örtlichen Gegebenheiten eingehen und zudem eine hohe Aufenthaltsqualität bieten kann.
NACHHALTIGKEIT IM FOKUS
Wie viel Re-Use verträgt die Architektur?
Dieser Frage widmet sich diese Bachelorthesis und die damit verbundene individuelle Vertiefungsarbeit. Als Architekt:innen haben wir das Privileg, unsere gebaute Umwelt mitgestalten zu können – gleichzeitig aber auch die Verantwortung, die natürliche Umwelt zu schonen und die Ressourcen dieses Planeten möglichst nachhaltig einzusetzen.
Nachhaltig – dies bedeutet nicht den fundamentalen Verzicht auf gewisse Baustoffe, sondern vielmehr die materialgerechte Konstellation von Baukomponenten zu einem hochgradig reversiblen Bauwerk, dass den wechselnden Bedürfnissen seiner Nutzenden mit einem hohen Masse an struktureller Flexibilität begegnet. Durch seine Anpassbarkeit und die damit einhergehende Langlebigkeit des Gebäudes, werden die darin verbauten Elemente umso nachhaltiger, je länger sie im „temporären Materialspeicher Haus“ eingesetzt werden.
Das Projekt „Re-Fuse“ wurde ressourcenbasiert entworfen. Es wurde ein hoher Anteil an wiederverwendeten Bauteilen in der primären und sekundären Gebäudestruktur angestrebt. Zu diesem Zweck wurde ganz zu Beginn des Entwurfsprozesses ein „Re-Use-Basket“ angelegt, ein Warenkorb von wiederverwendeten Bauteilen, welche sich im Frühling 2024 auf der Bauteilbörse Salza.ch befanden. Die dabei fiktiv eingekauften, jedoch real eingeplanten Bauteile waren integraler Bestandteil des Entwurfes. Die primäre oberirdische Tragstruktur besteht zu 100% aus wiederverwendeten Stahlträgern und Betonrippendecken aus dem Roche Areal in Basel. Die Streifenfundation, auf dem das Gebäude ruht, wird bereits heute länger ausgeführt, um ein späteres Weiterbauen zu erleichtern. Bis dahin dient sie als Sitzgelegenheit im begrünten Aussenbereich.
DESIGN FOR DISASSEMBLY
Die primäre Tragstruktur der drei Gebäudeteile bestehen aus Stahlträger der Typen HEA 280 und HEM 140, welche durch eine biegesteife Eckverbindung ein "Stahlregal" ergeben, welches sich, abhängig von der Dimension der Träger, vertikal erweitern lässt.
Die Geschosshöhen wurden so gewählt, dass die Stahlträger möglichst nicht geschnitten werden mussten. Wo dies dennoch nötig war, wurde auf einen sinnvollen Verschnitt geachtet, z.B. 1/2 oder 1/3, damit die zerkleinerten Bauteile möglichst alle wieder in dem Bauwerk eingesetzt werden konnten. Dieses Konstruktionsprinzip ermöglicht einen späteren Anbau resp. Aufstockung und ist komplett rückbaubar, da die Elemente geschraubt sind.
Die horizontale Aussteifung erfolgt mittels aufgelegten und mit dem Stahlregal verbundenen Betonrippendecken, ebenfalls Re-Use-Elemente. Die vertikale Aussteifung übernehmen die Erschliessungs- und Steigleitungskerne aus Brettschichtholz in den Längsbauten resp. Stahlbeton im Solitärbau.
Gefüllt werden die "Regale" mit vorgefertigten Holzrahmen, die Wärmedämmung besteht aus Baustroh und einer Weichfaserplatte, welche zugleich die Funktion der Winddichtung übernimmt. Verkleidet sind die Elemente mit unbehandelten Holzplatten. Durch die mechanische Fügung der Bauteile kann die Konstruktion bei Bedarf wieder demontiert und die Einzelteile in einen neuen Lebenszyklus überführt werden.
STÄDTEBAULICHE ENTWURFSPRINZIPIEN
Areal
Ehemalige Textilfabrik im Berner Marziliquartier aus dem späten 19. Jahrhundert, in unmittelbarer Nähe zur Monbijoubrücke, dem Marzilibad, der Aare und dem neu projektierten Gaswerkareal.
Städtebauliche Setzung
Langgezogener, schmaler Baukörper, parallel zu dem tendenziell negativ konnotierten Brückenraum.
Durchdringungen
An spezifischen Stellen wird der Baukörper aufgetrennt. Diese orientieren sich an dem Richtprojekt des neuen Gaswerkareals südlich der Monbijoubrücke. Mit den Durchdringungen soll das Ryff-Areal an das neue Quartier angeschlossen werden. Die neue Integrationssiedlung dient als Bindeglied zwischen Historie und Zukunft.
Volumetrie und Orientierung
Die Gebäudevolumen sind geprägt durch die geforderten Nutzflächen, die Grundfläche des Bebauungsperimeters und die Abmessungen der zur Verfügung stehenden Bauteile. Aus den Re-Use-Elementen wurde ein System entwickelt, welches zwei verschieden Gebäudetypen hervorbringt und flexibel auf äussere sowie innere Einflüsse reagieren kann.
Haus 1 & 2 sind fünfgeschossige Längsbauten, Haus 3 ein siebengeschossiger Solitärbau.
Die Wohneinheiten der Langhäuser haben eine Nord/Süd - Orientierung, der Solitär ist allseitig orientiert, wobei jede Wohneinheit über mindestens eine Ecke angeordnet ist.
Anbauten und Dachformen
Inspiriert durch die Bauten auf dem Ryff- Areal nimmt der Neubau Referenz auf die geneigten Dachformen sowie die ausladenden Baukörper.
Als Grundlage der Dächer von Haus 1 & 2 dienen die Überdachungen der Autounterstände auf dem Areal, deren Schmetterlingsträger umgedreht eingebaut die Dachneigungen der Neubauten ergeben. Haus 3 verfügt über ein begehbares Flachdach, nimmt jedoch mit der Form der Pergola ebenfalls Referenz auf den Bestand.
Interne Erschliessung
Die vertikale Erschliessung übernehmen die statisch relevanten Kerne, in denen die Treppenhäuser und Aufzüge untergebracht sind. Gegen das Ryff-Areal orientierte Laubengänge übernehmen die horizontale Erschliessung der Wohneinheiten, zudem dienen sie als verbindendes Element zwischen allen Bauten und sind als Begegnungszone angedacht.
Private und gemeinsame Aussenräume
In Haus 1 & 2 verfügt jede Wohneinheit über einen eigenen Balkon, ausgenommen die Wohnungen im 2. OG in Haus 2. Diese teilen sich eine Dachterrasse, welche von allen Bewohnenden genutzt werden kann. Zudem ist in jeder Wohnung der Längsbauten ein raumhaltiges Kastenfenster verbaut. Formalistisch als Erker zusammengefasst, referenzieren sie den Bestand mit seinen Risaliten. In Haus 3 sind in den Wohneinheiten französischen Balkone geplant, der gemeinsame Aussenraum befindet sich auf der Dachterrasse.
Brückenschlag
Ein wichtiger Entwurfsansatz des Projekts ist die Überbrückung der Topographie und die Verbindung der "Schwemmebene" mit der "Stadtebene". Haus 1 positioniert sich direkt an der Brücke und bildet mit ihren öffentlichen Nutzungen auf der "Schwemm-" und "Stadtebene" das nutzungstechnische Bindeglied.
Als neue Erschliessung der beiden Ebenen dient ein Liftturm mit einem Steg, beide Konstruktionen sind mit Re-Use-Elementen projektiert.
WOHNUNGSTYPEN
Die drei Gebäude fassen fünf verschiedene Wohnungstypen, welche flexibel auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Bewohnenden reagieren können. Dadurch entsteht eine lange Nutzungsdauer und somit steigt die Nachhaltigkeit des Gebäudes. Insgesamt kann das Gebäude zwischen 124 und 132 Personen beherbergen, durch seine erweiterbare Gebäudestruktur ist es jedoch in der Lage, bei Bedarf noch mehr Nutzenden Platz zu bieten.