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Digital trotz Armut

02.12.2024 Acht Unterstützungsmöglichkeiten für armutsbetroffene Personen in der Schweiz: Das sind die Learnings aus einem BFH-Projekt, welches Prof. Dr. Emanuela Chiapparini mit ihrem Team unlängst durchgeführt hat.

Armutsbetroffene Menschen leben oft am Rand der Gesellschaft. Wenn sie zusätzlich vom digitalen Teil des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen sind, vergrössert sich ihre Isolation. Basierend auf dem Projekt zur Vermittlung digitaler Skills an Armutsbetroffene Personen fassen wir acht Voraussetzungen zusammen, die es allen erlauben, an einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft teilhaben zu können.

1. Niedrigschwelliger Zugang

Der Zugang zu digitalen Geräten und stabilem Internet ist für armutsbetroffene Personen zentral. Internetcafés sind oft eine wichtige Anlaufstelle, besonders wenn dort Fachpersonal für Fragen zur Verfügung steht. Auch Sozialdienste könnten Geräte bereitstellen oder Unterstützungsangebote vermitteln.

Wenig nützlich sind Geräte und Plattformen, die nicht benutzerfreundlich sind oder hohe Kosten verursachen. Ohne das richtige Wissen und Unterstützung führen solche Angebote eher zu Frustration als zu Integration.

2. Flexibilität und Unterstützung beim Lernen

Betroffene benötigen flexible Schulungsformate, die an die alltäglichen Bedürfnisse angepasst sind, wie E-Banking, Bewerbungsschreiben oder Online-Recherche. Idealerweise werden die Lerninhalte von Fachpersonen, aber auch von Peers vermittelt. So kommt zusätzlich Unterstützung auf Augenhöhe zustande und es entsteht ein vertrautes Lernklima.

Schulungen mit unverständlichen Lernzielen, theorielastigen Inhalten und fehlendem Bezug zum Alltag der Teilnehmenden, sind hingegen nicht gefragt.

3. Günstige oder kostenfreie Bildungsangebote

Für armutsbetroffene Personen ist der Preis von digitalen Integrationsangeboten mitentscheidend. Kostenfreie oder sehr günstige Weiterbildungsangebote erreichen besonders viele Betroffene, weil sie eine wichtige Eintrittshürde aus dem Weg räumen.

Wichtig ist, die Angebote nicht als reines «Nachholen» darzustellen. Stattdessen ist ein ressourcenorientierter Ansatz wichtig, der Betroffenen vermittelt, dass sie bereits Fähigkeiten mitbringen, die auf- und ausgebaut werden können.

4. Klare und verständliche Informationen

Armutsbetroffene Personen brauchen einfachen Zugang zu digitalen Informationen über bestehende Unterstützungsangebote. Sozialhilfefachkräfte benötigen also einen Überblick der bestehenden Angebote, um gezielt zu vermitteln, wie und wo digitale Hilfe zu finden ist.

Unübersichtliche oder schwer verständliche Plattformen und komplizierte Apps verwirren aber eher, als dass sie helfen. Auch digitale Angebote ohne klare Anleitung oder ohne die Möglichkeit Fragen stellen zu können, sind weniger hilfreich.

Wann ist jemand arm?

Die Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe hat 2021 die Armutsgrenze für Einzelpersonen auf 2289 Franken und für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern unter 16 Jahren auf 3989 Franken geschätzt, woran sich die meisten Kantonen richten. Allerdings greift eine solche, rein numerische Grenze der Erwerbsarmut zu kurz, weil das Vermögeneinkommen nicht berücksichtigt ist und eine grosse Gruppe an Menschen knapp über dieser Grenze lebt. Prof. Dr. Emanuela Chiapparini definiert in Anlehnung an die Definition von armutsgefährdeten Personen Armut deshalb weiter (vgl. die Seite «Armut und Deprivation» des Bundesamtes für Statistik).

Als armutsbetroffen und armutsgefährdet gelten entsprechend Menschen, deren finanzielles Einkommen nicht ausreicht, um sich eine eigene stabile Lebensgrundlage zu schaffen. Das bedeutet allerdings nicht nur, dass man sich ein Dach über dem Kopf und das Essen leisten kann. Auch wer auf medizinische Besuche, Heizen, Kleidung, Weiterbildung, soziale Netzwerke und immer mehr auch auf einen Zugang zu digitalen Geräten und Angeboten verzichtet oder diese stark und unfreiwillig abwägen muss, ist armutsbetroffen und -gefährdet.

Weil längst ein grösser werdender Teil des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens digital und online stattfindet, muss der Zugang zum digitalen Alltag als integraler Bestandteil der Armutsbekämpfung angesehen werden.

5. Kleine Erfolgserlebnisse und Motivation

Positive Erlebnisse und schnelle Erfolge beim Lernen sind entscheidend. Wenn Betroffene schnell Fortschritte sehen, steigert dies das Selbstvertrauen und die Motivation, weiterzulernen. Deshalb sollten digitale Anwendungen klar erkennbar machen, wie sie Mehrwert generieren. Und sie sollten möglichst intuitiv und übersichtlich gestaltet sein.

Demgegenüber sind ausufernde und textlastige Lerninhalte, ständig ändernde Programm-Oberflächen oder Apps, die nur auf den neusten digitalen Geräten funktionieren, weniger hilfreich. Denn oft fehlen armutsbetroffenen Personen neuere Geräte. Gleichzeitig bringen sie nicht selten negative Schul- und Ausbildungserfahrungen mit und haben dadurch schnell das Gefühl zu versagen.

6. Soziale Vernetzung fördern statt Isolation

Wir brauchen Angebote, die armutsbetroffene Menschen motivieren, sich sozial zu vernetzen und Unterstützung von anderen zu suchen. Der Austausch mit anderen – sei es in einem Internetcafé oder bei persönlichen Beratungen – bleibt wichtig, um Isolation zu vermeiden und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.

Ein reiner Fokus auf digitale Dienstleistungen ohne soziale Komponente hingegen ist kontraproduktiv. Für manche armutsbetroffene Personen erhöht dies die Gefahr der Isolation.

7. Sicheres Experimentieren und Vertrauen aufbauen

Beim Erlernen von neuen Digital Skills ist ein unterstützender Rahmen entscheidend. In einem solchen können sich Betroffene in Ruhe ausprobieren und dabei ihr Selbstvertrauen stärken. Der direkte Zugang zu Fragen und Rückmeldungen durch andere erhöht das Vertrauen, sich auf digitale Tools einzulassen.

Wenn beim Ausprobieren digitaler Tools nicht sofort geklärt werden kann, warum etwas (nicht) funktioniert hat, frustriert das eher und verunsichert. Es geht darum, Fehler machen zu dürfen, ohne bewertet zu werden.

8. Psychische Gesundheit fördern

Armut bedeutet für die Betroffenen nicht nur ein leeres Portemonnaie, sondern einen Stresszustand in verschiedenen Lebensbereichen (z.B. erfolglose Arbeitsfindung, Gang zum Sozialdienst, mehr Nebenjobs, weniger Zeit für Familie und Freund*innen, unsichere Zukunft, keine Zeit für berufliche Weiterbildungen etc.). Deshalb hat Armut oft auch einen negativen Einfluss auf die Psyche.

Digitale Angebote und Apps können bei psychischen Erkrankungen eine echte Unterstützung darstellen. Auch hier sollte die persönliche Beratung aber nie ganz durch digitale Tools ersetzt werden. Viele Betroffene empfinden den Austausch und das Netzwerken von Mensch zu Mensch als wertvoll für ihr Wohlbefinden.

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