Fachkräftemangel im Sozialwesen − Wo der Schuh drückt

04.09.2023 Das Sozialwesen ist stark vom Fachkräftemangel betroffen. Besonders schwierig ist es, Nachwuchs zu finden, der bereit ist, in Sozialdiensten eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Was steckt hinter den Rekrutierungsproblemen? Die BFH hat bei Führungspersonen nachgefragt.

Lange Wartezeiten, weniger Zeit für die individuelle Betreuung und verzögerte Projekte – dies sind einige der Auswirkungen des Fachkräftemangels im Sozialwesen. Sie sind besonders für Menschen spürbar, die Hilfe oder finanzielle Unterstützung suchen, etwa auf dem Sozialdienst.

Für die Sozialämter auf Gemeindeebene ist es derzeit besonders schwierig, Führungskräfte zu finden. Die Arbeitsbelastung der vorhandenen Mitarbeitenden ist entsprechend hoch, was zu Überbelastung, Stress und potenzieller Burnout-Gefahr führt.

Die BFH hat anlässlich eines Kaderanlasses rund 60 Führungspersonen aus dem Sozialwesen des Kantons Bern befragt. Als wichtigsten Grund für die Rekrutierungsprobleme nennen die Befragten die Arbeitsbedingungen. Konkret sind demnach folgende Probleme zentral: Die hohen Anforderungen, die grosse Verantwortung und der verhältnismässig tiefe Lohn.

Die Führungskräfte glauben zudem, dass die starren Strukturen und der rigide gesetzliche Rahmen für Arbeitnehmende eher unattraktiv wirken. Weitere Gründe orten die Führungspersonen bei den subjektiven Präferenzen der Arbeitnehmenden im Sozialbereich. Genannt wurde in diesem Zusammenhang etwa der Wunsch nach ausgeglichener Work-Life-Balance. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wirken sich negativ aus, so etwa das fehlende Prestige der Sozialen Arbeit und der generell angespannte Stellenmarkt.

Der Fachkräftemangel im Sozialbereich ist ein Symptom gesellschaftlicher Veränderungen, dem nicht dauerhaft mit Zusatzleistungen besonders engagierter Führungskräfte begegnet werden kann.

Dr. Christoph Gehrlach
Dr. Christoph Gehrlach Leiter Institut Orgarnisation und Sozialmanagement

«Der Fachkräftemangel im Sozialbereich ist ein Symptom gesellschaftlicher Veränderungen, dem nicht dauerhaft mit Zusatzleistungen besonders engagierter Führungskräfte begegnet werden kann», sagt Prof. Dr. Christoph Gehrlach, der für die Analyse der Daten verantwortlich war.

Gefragt seien innerhalb der Sozialdienste deshalb alternative organisatorische Lösungen zur Übernahme und Verteilung von Verantwortung. Ein Beispiel dafür sind neue Führungsmodelle, wie Co-Leitungen, Job-Rotationen oder agile Organisationsformen, in denen die Führungsverantwortung breiter verteilt wird. 

Die Auswertung zeigt zudem laut Gehrlach, wie die Führungspersonen die Attraktivität der Stellen im Sozialdienst einschätzen. Auf dem Stellenmarkt werden demnach insbesondere Stellen bevorzugt, die einen gewissen Handlungsspielraum vorsehen. Daraus schliesst Gehrlach, dass es wichtig wäre, solche Handlungsspielräume auch für den Bereich der Sozialdienste so weit möglich erhalten zu können. 

Wie die Daten erhoben wurden

Im Rahmen eines Kaderforums hat die BFH 2022 rund 60 Führungspersonen aus sozialen Organisationen des Kantons Bern befragt. Nach einem Referat wurde in einer interaktiven Sequenz ein Brainstorming zur Frage «Aus welchen Gründen können Leistungsstellen in sozialen Organisationen schlecht besetzt werden?» durchgeführt.

Die Sammlung der Rückmeldungen erfolgte via Handy über ein kollaboratives Online-Tool. Die Eingaben wurden als Wortwolke projiziert. Die neuen Begriffe regten zum Weiterdenken an. Es folgte ein weiteres Referat, mit dem die Rückmeldungen durch die BFH kategorisiert wurden. Diese pragmatische Strukturierung diente als Grundlage für die gemeinsame Weiterarbeit.

Nach der Präsentation der Kategorien wurden alle Teilnehmenden zu einem weiteren Brainstorming eingeladen. Diesmal wurden Lösungsansätze zu den Herausforderungen gesammelt. Auch die Vorschläge wurden online gepostet. Die Aufgabe bestand darin, die Lösungsideen den Ursachen-Kategorien zuzuordnen. Von anderen Personen eingebrachte Kommentare konnten als Zeichen der Zustimmung mit «Likes» unterstützt werden. Eine Auswahl der beliebtesten Vorschläge wurde sodann in der abschliessenden Diskussion vertieft.

Autoren: Prof. Dr. Christoph Gehrlach und Daniel Flückiger

Dies ist die Kurzversion eines Artikels, der im September 2023 im Printmagazin «impuls» erschienen ist.

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