Die Raclette-Revolution

04.11.2024 Langsam zerschmilzt der Käse und blubbert leise vor sich hin. Eine Freude für alle Raclette-Fans – abgesehen von jenen, die sich pflanzlich ernähren. Denn sie mussten bisher oft Kompromisse eingehen. Ein gemeinsames Forschungsprojekt der BFH-HAFL, Agroscope und New Roots bringt eine neue Alternative auf den Tisch.

Sie verdrängen immer mehr alte Klassiker von unseren Tellern: Rein pflanzliche Produktalternativen werden immer beliebter. Mit einer Ausnahme: Pflanzlicher Halbhart- oder Hartkäse konnten bislang nicht wirklich mit traditionellen Kuhmilchkäsen mithalten – weder in Bezug auf Geschmack, Textur noch Schmelzfähigkeit. Doch genau diese Herausforderung hat die BFH-HAFL gemeinsam mit der Schweizer Firma New Roots AG und Agroscope angenommen. In ihrem Innosuisse-Projekt wurde während mehr als drei Jahren geplant, gemixt, prozessiert, probiert. Das ambitionierte Ziel: eine neue Generation veganer Käsealternativen herzustellen, die nicht nur wie Kuhmilchkäse schmeckt, sondern auch so schmilzt. Mario Arcari, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe «Lebensmittelprozesstechnologie und nachhaltige Innovation» im Fachbereich Food Science & Management an der BFH-HAFL und für das Projekt zuständig, gewährt uns einen Einblick.
 

Mario Arcari
Welche pflanzlichen Rohstoffe eignen sich für eine schmelzfähige Käsealternative? Lebensmittelingenieur Mario Arcari im Labor. (Bild: Reto Baula)

Vom Labor in die Technologiehalle

Zu pflanzlichen Proteinen verfügt die BFH-HAFL bereits über eine umfassende Expertise. «Pflanzenproteine sind derzeit stark im Trend, wir arbeiten an zahlreichen Projekten in diesem Bereich», erklärt Mario Arcari. Ein weiterer Vorteil: Dank ihrer langjährigen Erfahrung in der Milchtechnologie können die BFH-HAFL sowie Agroscope auch bei der Entwicklung pflanzlicher Alternativen auf wertvolles Know-how zurückgreifen. Nicht zuletzt: «Die moderne Infrastruktur in Zollikofen ermöglicht es, im Labor Rezepturen im kleinen Massstab zu entwickeln und sie danach in der Technologiehalle auf grössere, industrielle Prozesse zu übertragen», so Arcari. 

Challenge accepted

Beste Voraussetzungen eigentlich, und doch gestaltet sich die Herstellung einer pflanzlichen Käsealternative nicht ganz einfach. «Milchproteine können ein festes, gelartiges Netzwerk bilden, das sich leicht schmelzen lässt», erklärt Mario Arcari. Bei Pflanzenproteinen hingegen ist es schwieriger, eine ähnliche Textur zu erreichen. «Zwar lässt sich eine Art Gel herstellen, doch dieses schmilzt nicht so einfach», führt Arcari weiter aus. Deshalb stellt sich den Forschenden als Erstes die zentrale Frage: Welche pflanzlichen Rohstoffe eignen sich dennoch für eine schmelzfähige Käsealternative?

Regional und nachhaltig

Auf der Suche nach möglichen Proteinen für schmelzbaren Halb- bzw. Hartkäse wurde dem Projektteam dank seiner Erfahrung recht schnell klar: Lupinen und Kichererbsen sind geeignete Zutaten. «Besonders die Lupine erweist sich als vielversprechender lokaler Rohstoff», erläutert Mario Arcari. Für New Roots und die BFH-HAFL stand von Anfang an fest, Rohstoffe zu verwenden, die lokal und nachhaltig angebaut werden können. 

Immer weiter und wieder von vorne

Nun geht’s in die Experimentierküche, wo das Vorgehen auf den ersten Blick simpel erscheint: «Wir testen eine Rezeptur mit möglichst wenig Zutaten, lernen über das Zusammenspiel von Material und Prozess und verbessern das Ergebnis systematisch durch die Zugabe weiterer Zutaten oder Anpassungen im Herstellungsprozess», so Arcari. «Wir erhielten einige Resultate, die zwar gut geschmolzen sind, aber nie richtig hart wurden – und umgekehrt.» Auch bei der Fermentation wurden verschiedene Strategien getestet, bis man schliesslich mit der Milchsäurefermentation den Durchbruch schaffte. «Die Milchsäurefermentation veränderte die Eigenschaften der Pflanzenproteine, so dass die Masse nun schmelzbar wurde», berichtet Arcari. Eine Innovation. New Roots ist das erste Unternehmen in Europa, das Fermentation einsetzt, um pflanzliche Raclette-Alternativen schmelzfähig zu machen. 
 

«Die Milchsäurefermentation veränderte die Eigenschaften der Pflanzenproteine, so dass die Masse nun schmelzbar wurde», berichtet Arcari. Eine Innovation.
Sarah Guidi, wissenschaftliche Assistentin, testet die Schmelzbarkeit der pflanzlichen Käsealternative. (Bild: David Rosenberger)

In den Regalen

Nach intensivem Experimentieren in der Technologiehalle und in der Produktionsumgebung ist die Rezeptur nun auch in grösseren Mengen herstellbar und die Ergebnisse kommen 2025 in den Handel. Die entwickelten Raclette-Prototypen erweisen sich als vielversprechend. «Auch wenn Käseexpert*innen wohl noch immer Optimierungspotenzial finden können», so der Lebensmittelingenieur, «sind Freundinnen und Freunde, die sich vegan ernähren, vom Produkt begeistert.» 

«In diesem Projekt hat sich das grosse Potenzial einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Fermentation, Materialwissenschaften und Prozesstechnologie gezeigt.»

Christoph Denkel Leiter der Forschungsgruppe

Spannende Aussichten

«In diesem Projekt hat sich das grosse Potenzial einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Fermentation, Materialwissenschaften und Prozesstechnologie gezeigt», erklärt Christoph Denkel, Leiter der Forschungsgruppe «Lebensmittelprozesstechnologie und nachhaltige Innovation». Eine solche Kooperation eröffnet vielfältige Möglichkeiten, gesunde und nachhaltige Lebensmittel zu entwickeln – besonders im Hinblick auf alternative Proteinquellen.

Ähnliche Einschätzungen teilen Ueli von Ah, der die Forschungsgruppe Biotechnologie bei Agroscope verantwortet, und Daniel Heine, Experte für Biokonversion und Schutzkulturen an der BFH-HAFL. Beide sehen grosse Chancen in der Anpassung von Proteineigenschaften mittels Fermentation – und das weit über pflanzlichen Käse hinaus. «Die natürlichen Werkzeuge der Fermentation sind aufgrund der Vielfalt der Mikroorganismen äusserst vielseitig», so von Ah. «Besonders spannend ist es, Aroma und Textur gezielt zu steuern, um die sensorischen Eigenschaften von Proteinalternativen zu verbessern.» Heine fügt hinzu: «Durch Fermentation lassen sich nicht nur Aromaprofile beeinflussen, sondern auch Löslichkeit und Funktionalität von Proteinen anpassen. Dies eröffnet neue Perspektiven für innovative Lebensmittelprodukte, die sowohl geschmacklich als auch funktionell überzeugen.»

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Fachgebiet: Life Sciences + Lebensmittelwissenschaften